Rudolf Hans Bartsch
Grenzen der Menschheit
Rudolf Hans Bartsch
L. Staackmann Verlag. Leipzig
Titelzeichnung von Oswald Weise, Leipzig
Alle Rechte,
besonders das der Übersetzung, vorbehalten
Druck von Günther, Kirstein & Wendler in Leipzig
Um die Zeit, als die ersten Jünger der GesellschaftJesu nach Innsbruck gerufen wurden,um auch dort einer etwas verwilderten Deutschheit,die selten lutherisch bibelfromm, sondern eher heidnischund ungläubig geworden war, durch ihr, inden ersten Jahrzehnten hinreißendes Beispiel, einenneuen, glühend passionierten Glauben zu erwecken,da lebte im adeligen Damenstift ein altes Fräulein,von dem es hieß, daß es ehedem die schönste Jungfrauin dreien Königreichen gewesen und mit dergriechischen Helena verglichen worden war, nachder sie auch hieß.
Sie war die Tochter des Bankmannes undHändlers Manuel Chrysoloras, eines Nachkommendes berühmten Humanisten gleichen Namens.
Dieser Chrysoloras soll ein bis an alle Grenzengescheiter und kalter Geldmann gewesen sein, dersich übrigens rühmte, das schönste und das widerlichsteMenschenkind auf Erden nebeneinander beisich und zu Diensten zu haben. Und wenn man sichüber das letztere, einen schamlosen Knecht, entsetzte,[S. 6]pflegte er lachend zu sagen: „Was wollt ihr? Erist eben die Materia, ohne allen Umweg menschgeworden.So ist sie, und so sieht sie aus.“
Der war einmal als Troßbube, eine entlaufeneBestie vom Landsknechtsheere, das Rom geplünderthatte, zu ihm gekommen: Klein, krumm, frech, breitmäuligund stark; zu alledem unerhört behende undgewandt, nur zu nichts Gutem. Der trug ihm seineDienste an. Es wird erzählt, daß ihn der Chrysolorasgefragt: „Was willst du dafür?“
„Eh, Geld,“ hatte der Kerl gegrinst.
„Was hast du bisher getrieben?“
„Ich? Na: Ich hab, als wir Rom eingenommen,einen berühmten Maler erstochen. Weils michgeärgert hat, daß es sowas gibt. Ich hab’ demPapst selber eine Maulschelle heruntergehauen, diewar ungut, sag’ ich euch. Und ich hab’ unsern altenFrundsperg dermaßen geärgert, daß ihn der Schlagdarüber gerührt hat, auf der Stelle. Vor niemandhab’ ich Respekt. Bloß vorm Geld. So tät’ ichall’ eure Feinde traktieren, und wärens Papst oderFeldoberst!“
„Das sind ja hübsch weite Grenzen, die deineNatur da erreicht hat,“ soll der Chrysoloras dazugesagt haben. „Aber wer bürgt mir denn, daß du[S. 7]nicht auch mich erstichst, oder traktierst oder zutodeärgerst?“
„He! Wer soll mich denn dann sicherer und besserbezahlen?“ fragte die krummbeinige Bestie. „Ihrkönnt ja auch immer noch einen entlohnen, der michaus dem Hinterhalt niederschießt. Denn mir vonvorn entgegenkommen