Heil dir im Siegerkranz!

Erzählung
von
Ossip Schubin.

Zweite Auflage.

Braunschweig.
George Westermann.
1891.

Alle Rechte vorbehalten.

 

Ihrer Durchlaucht
Prinzessin Heinrich XXIV. Reuß
geb. Prinzessin Reuß

in dankbarer Erinnerung an schöne Herbsttage
in Ernstbrunn

zugeeignet.

Erstes Buch.

Sie war eine alte Jungfer, das heißt eine überzähligeKreatur in der Schöpfung, ein Gegenstanddes Mitleids für reife – ein Gegenstanddes Gespöttes für unreife Männer, für viele vonFamiliensorgen überbürdete, sich zwischen unharmonischenehelichen Zuständen hinschleppende Frauenein Gegenstand des Neides und Anlaß zu demAusruf: »Ach, wer's nur auch so bequem habenkönnte auf der Welt!«

Nebenbei war sie eine allgemein beliebte Persönlichkeit.Kaum ein Tag verging, an welchem,mochte sie sich auch wo immer befinden, die Postihr nicht einen Brief gebracht hätte, welcher dieWorte enthielt: »Wann können wir dich erwarten,wann kommst du zu uns?« – worauf sie fast jedesmal dieselbe Antwort zurückschrieb: »Ichfreu mich sehr, daß ihr mich wollt, ich werdetrachten es mir einzuteilen, aber vorläufig ...«und dann folgte ohne jedwede Prahlerei, nurals bescheidene Begründung ihres Ablehnens, einelange Liste von Besuchsverpflichtungen, welche siebereits auf sich genommen und welchen sie nachkommenmußte, ehe sie einer neuen Einladungfolgen durfte.

Kritischere und gescheitere Menschen als siezerbrachen sich bisweilen den Kopf über denGrund ihrer beständigen Umworbenheit und überdas Wesen, welches man mit ihr trieb. Vermögenhatte sie nur gerade, was sie brauchte,um niemand zur Last fallen zu müssen – füreine österreichische Oberstentochter war das zwarsehr viel, aber um auch den mißtrauischsten unterihren Bekannten auf den Gedanken zu bringen,die große Freundlichkeit, welche ihr bewiesenwurde, irgend einer Hab- oder Erbschaftsgierbeizumessen, war es lange nicht genug. In derWirtschaft war sie ein wenig umständlich, Whist spielte sie nicht besser als der Durchschnitt unverheirateterDamen. Eigentlich verstand sie sichnur auf zwei Dinge wirklich gut, und zwardarauf: Kranke zu pflegen und Tanzmusik zuspielen; aber ersteres hatten die wenigsten Menschenzu erproben die Gelegenheit gehabt, undletzteres versteht sich eigentlich bei einer Persönlichkeitihrer Art, die geboren ist eine Begleitungzu der Fröhlichkeit der anderen zu trommeln,von selbst.

Ihre allgemeine Beliebtheit hatte einen anderenGrund. Man hatte sie lieb, weil sie keinenNeid kannte, nicht den Schatten davon! Dassagten ihr alle ihre jungen Vertrauten, derenGlücksgeständnissen sie stets dieselbe gerührte Teilnahmeentgegenbrachte, und küßten sie dafür.

Das sagten ihr ebensogut die älteren unterihren Bekannten und bewunderten sie dafür. Sielächelte abwehrend zu dieser Bewunderung underwiderte immer dasselbe:

»Ich begreife euch nicht, es ist ja kein Verdienstdabei!«

Wenn man aber fragte: »Wieso kein Verdienst?«da behielt sie die Antwort für sich.

Sie kannte keinen Neid, weil ihr jedes echtegroße Menschenglück Mitleid einflößte, weil siehinter jedem übermütig zum Himmel aufjauchzendenMenschenkind, hinter jedem, dessen irdischeSeligkeit die von der Vorsehung gesetzten Mittelmäßigkeitsgrenzenüberstieg, und das des Beneiden

...

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