Von B. Traven (Tamaulipas, Mexiko)
In: Westermanns Monatshefte. Braunschweig, 1926, H. 839, S. 525-536.
Undurchdringlicher Dschungel bedeckt dieweiten Ebenen der Flußgebiete desPanuco und des Tamesi. Zwei Bahnliniennur durchziehen diesen neunzigtausendQuadratkilometer großen Teil der TierraCaliente. Wo sich Ansiedelungen befinden, habensie sich dicht und ängstlich an die wenigen Eisenbahnstationengedrängt. Europäer wohnen hiernur ganz vereinzelt und wie verloren. Die ermüdendeGleichförmigkeit des Dschungels wirdvon einigen sich langhinstreckenden Höhenzügenunterbrochen, die mit tropischem Urbusch bewachsensind, der ebenso undurchdringlich ist wieder Dschungel und in dessen Tiefen, wo immerDämmerung herrscht, alle Mysterien und Grauender Welt zu lauern scheinen. An einigen günstigenStellen, wo Wasser ist, sind kleine Indianerdörferüber die Höhen verstreut; Wohnplätze,die schon dort waren, ehe der erste Weißedas Land betrat. Sie liegen fernab der Eisenbahn.Auf Eselkarawanen werden die Waren,die hier gebraucht werden, hauptsächlich Salz,Tabak, billige Baumwollhemden, Zwirnhosen,Musselinkleider, spitze Strohhüte für die Männerund schwarze Baumwolltücher für die Frauenherbeigebracht. Als Tausch werden Hühner, Eier,Eselsfüllen, Ziegen, Papageien und wilde Truthähnegegeben.
Dort wohnte ich, tief im tropischen Busch,allein, in einer primitiven Hütte, die ich mirselbst gebaut hatte, nach Indianerart, ohne einenNagel zu brauchen.
Siebzig Minuten Ritt brachten mich zu meinemnächsten Nachbar, einem amerikanischen Arztaus Arkansas, namens Wilshed. Alle übrigenMenschen meiner Nachbarschaft, von denen keinernäher wohnte als vierzig Minuten, waren Vollblut-Indianer.Das nächste Dorf war elf Meilenentfernt, die nächste Eisenbahnstation, wo zweiweiße Familien wohnten, siebzig Meilen.
Doktor Wilshed wohnte in einem Bungalow,einem einfachen Bretterhaus, das zwei Räumehatte. Er lebte dort mutterseelenallein, betriebein wenig Landwirtschaft, hatte zwei Kühe, fünfzigHühner, zwanzig Bienenstöcke, zwei Pferdeund drei Maultiere. Zwei Indianerfamilien,die etwa eine Meile entfernt wohnten, auf demAbhange des Höhenzuges, waren seine nächstenNachbarn. Die Männer jener beiden Familienwaren bei ihm als Farmarbeiter beschäftigt.
Den größten Teil seiner Zeit verbrachte derDoktor mit Lesen. Wenn er nicht las, dann saßer auf der Veranda seines Bungalows undschaute unverwandt hinunter auf die unermeßlichweite Ebene, die sich vom Fuß des Höhenzugsan bis fern hinter den Horizont hinzog.Dschungel, Dschungel, nichts als Dschungel.
Zuweilen fiel mir die Einsamkeit des Buschesheftig auf die Nerven; denn es kam vor, daß ichzwei volle Wochen kein menschliches Antlitz sah.Wenn es gar zu unerträglich wurde, wanderteich hinauf zum Doktor, nur um einen Menschenzu sehen, eine menschliche Stimme zu hören, nurzu fühlen, daß ich nicht allein war auf der großenWelt. Aber der Doktor war schweigsam. Dertropische Busch macht schweigsam und denkend,und der Doktor lebte hier ein Menschenalter,hatte sich hierher verkrochen, wahrscheinlich weiler die Menschen nicht ertragen konnte oder weiler eine Enttäuschung erlebt hatte, aus der seineSeele zu retten eine Flucht in den tropischenBusch die einzige Lösung gewesen war.
Wir konnten oftmals Stunden nebeneinanderauf der Holzbank seiner Veranda sitzen, ohnedaß wir ein Wort sprachen. Über uns selbsthatten wir nichts zu reden, über andre wolltenwir nicht reden; und da auch keiner von uns sonärrisch war, dem and