Rosa Mayreder
Pipin
Von derselben Verfasserin sind bisher erschienen:
Aus meiner Jugend. Novellen. 1896.
Übergänge. Novellen. 1897.
Idole. Roman. 1899.
Ein Sommererlebnis
von
Rosa Mayreder
Leipzig 1903
Hermann Seemann Nachfolger
Alle Rechte vom Verleger vorbehalten.
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig |
Neulich einmal waren wir in einer Gesellschaftmit dem Advokaten beisammen, der denEhescheidungsprozeß Josef Balthasar Stöger'sgeführt hatte. Natürlich kam das Gespräch gleichauf diesen Fall. Denn in der Welt wurde geradevon nichts anderem geredet – das heißt, in einemjener vielen bürgerlichen Kreise, von denen jederannimmt, daß er »die Welt« sei. Die Welt alsowar sehr beschäftigt mit Josef Balthasar Stöger'sehelichen Angelegenheiten. Er selbst hatte sich derTeilnahme wie der Neugier, allen bedauerndenHändedrücken und indiskreten Blicken so bald alsmöglich entzogen und eine Reise um die Erde angetreten.
Man wußte ja längst, daß er von seiner Fraubetrogen wurde; vom ersten Tag seiner Ehe anhatte niemand etwas Anderes erwartet. Es waralles gekommen, wie es kommen mußte, mit unfehlbarerSicherheit und Notwendigkeit. Etwasvon einem Naturgesetz lag darin, beinahe etwasBeruhigendes und Befriedigendes. Josef Balthasar Stöger war dazu geboren, betrogen zuwerden. Jedermann hatte auch vorausgesetzt,daß er sich mit dieser Thatsache bei Zeiten abgefunden,sich ohne Widerstreben in das Unvermeidlicheergeben habe. Deshalb war an der ganzenSache nur eines unverständlich: warum er versuchte,sich das Leben zu nehmen, als er an derUntreue seiner Frau nicht mehr zweifeln konnte.Er schoß sich eine Kugel in die Brust, wie umdieses thörichte Herz zu strafen, das ihn so sehr indie Irre geführt hatte. Aber die Kugel war mitleidigerals seine Frau; sie ging an seinem Herzenvorbei, und er mußte weiterleben in all dem Aufsehen,das die Entlarvung und Scheidung mit sichbrachte.
Allerdings blieb es nicht unbekannt, daßnicht er es war, der diese Entlarvung herbeigeführthatte. Seine Mutter und seine verheirateteSchwester, empört nicht minder über seine Langmutwie über das Treiben seiner Frau, warendie Regisseure. Sie hatten es, wie die Welt behauptete,geradezu darauf abgesehen, seine Frauso öffentlich als möglich bloßzustellen, damit erendlich genötigt wäre, Ordnung zu machen, undnicht länger versuchen könnte, die Augen zuzudrücken.
Ja, Josef Balthasar Stöger war ein lässigerWächter seiner Ehre gewesen – darin lag seineSchuld. Die Untersuchungen der Welt, wie weit auch er für sein eheliches Mißgeschick verantwortlichsei, führten stets zu diesem Ergebnis. Undnoch etwas fiel sehr zu seinen Ungunsten in dieWagschale. Er war ein lächerlicher Mensch. Wiekonnte ein lächerlicher Mensch die Anmaßunghaben, eine so schöne Person zu heiraten und zuglauben, daß er ihr als Mann genügen werde?Ein lächerlicher Mensch sollte niemals heiraten;man kann als Frau allenfalls einen launenhaften,einen treulosen, einen groben, einen tyrannischenMann ertragen, nur einen lächerlichennicht.
Als das Gespräch bei dieser These angelangtwar, sagte der Advoka