Knut Hamsun / Hunger
Ein Verzeichnis
der Werke Knut Hamsuns
findet sich am Schluß
des Bandes
Knut Hamsun
Roman
Albert Langen / Georg Müller / München
Neue berechtigte Übersetzung von J. Sandmeier
54. bis 58. Tausend
Copyright 1921 by Albert Langen, München
Printed in Germany
Es war in jener Zeit, als ich in Kristiania umhergingund hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verläßt,ehe er von ihr gezeichnet worden ist.........
Ich lag wach in meiner Dachstube und hörte eineUhr unter mir sechs Mal schlagen; es war schon ziemlichhell und die Menschen fingen an, die Treppen aufund nieder zu steigen. Unten bei der Türe, wo meinZimmer mit alten Nummern des „Morgenblattes” tapeziertwar, konnte ich ganz deutlich eine Bekanntmachungdes Leuchtfeuerdirektors sehen, und ein wenig links davoneine fette, geschwollene Anzeige von frischgebackenemBrot des Bäckers Fabian Olsen.
Sowie ich die Augen aufschlug, begann ich aus alterGewohnheit nachzudenken, ob ich heute etwas hätte, woraufich mich freuen könnte. In der letzten Zeit wares mir ziemlich schlecht ergangen; eins nach dem anderenmeiner Besitztümer hatte ich zum „Onkel” bringen müssen,ich war nervös und unduldsam geworden; ein paar Malmußte ich auch wegen Schwindels einen Tag lang imBett bleiben. Hie und da, wenn das Glück mir günstigwar, hatte ich fünf Kronen für ein Feuilleton von irgendeinemBlatt ergattern können.
Es tagte mehr und mehr, und ich begann, die Anzeigenunten bei der Türe zu lesen; ich konnte sogar die magerengrinsenden Buchstaben „Leichenwäsche bei JungferAndersen, rechts im Torweg” unterscheiden. Dies beschäftigtemich eine lange Weile, ich hörte die Uhr untermir acht schlagen, bevor ich aufstand und mich anzog.
Ich öffnete das Fenster und sah hinaus. Von meinemPlatz aus sah ich eine Wäscheleine und ein freies Feld;weit draußen lag noch der Schutt einer abgebranntenSchmiede, den einige Arbeiter forträumten. Ich legtemich mit den Ellbogen ins Fenster und starrte in dieLuft hinaus. Es wurde ganz gewiß ein heller Tag.Der Herbst war gekommen, die feine, kühle Jahreszeit,[S. 6]in der alles die Farbe wechselt und vergeht. DerLärm in den Straßen hatte schon begonnen und locktemich ins Freie: dieses leere Zimmer, dessen Bodenbei jedem Schritt, den ich darüber hinging, auf undnieder schwankte, war wie ein feuchter, unheimlicherSarg; kein ordentliches Schloß an der Türe und keinOfen im Raum. Ich pflegte in der Nacht auf meinenStrümpfen zu liegen, um sie bis zum Morgen einwenig trocken zu bekommen. Das einzige Erfreuliche,was ich hier hatte, war ein kleiner roter Schaukelstuhl,in dem ich an den Abenden saß und döste und an allerhandDinge dachte. Wenn der Wind stark blies, und dieTüren unten offen standen, tönte vielfältiges seltsamesPfeifen durch den Boden herauf und durch die Wändeherein, und das „Morgenblatt” unten bei der Türe bekamRisse so lang wie eine Hand.
Ich erhob mich und suchte in einem Bündel in derEcke beim Bett, ob noch etwas zum Frühstück darinwäre, fand aber nichts und kehrte wieder zum Fensterzurück.
Gott weiß, dachte ich, ob es mir jemals etwas nützenwird, nach einer Beschäftigung zu suchen! Diese vielenAbsagen,