Ein Liebesroman
Paris, Leipzig, München
(München, Kaulbachstr. 51 a)
Verlag von Albert Langen
1896.
Wenige Menschen verstehen es, ihre Wünscheim Bereich des Möglichen zu lassen. –
Nach monatelangem Hungern war es Vidl Falkendlich gelungen, ein Stipendium von der Hochschulezu erhalten. Mehr hatte er nicht gewünscht.Er betrachtete sich als gemachten Mann undstrebte, sich das Leben etwas gemächlicher einzurichten.Mit der ganzen Besitzesfreude einesKapitalisten trug er sein Vermögen spazieren.Jedoch vermied er das Gedränge der Verkehrsstraßen,denn er fürchtete sich vor Taschendieben.Wenn er beim Mittagessen die Zeitung zur Handnahm, so studierte er zuerst unter der Rubrik„Lokalnachrichten“ die Aufzählung der Diebstähleund der verlorenen Geldbörsen.
Der plötzlich eingetretene Reichtum berauschteihn. Die schmale, armselige Zelle, in der erbis jetzt gehaust, ekelte ihn auf einmal an. Erkündigte und ging aus, ein Zimmer zu suchen, dasmit seinen Träumen möglichst übereinstimmensollte. Der erfinderische Sinn münchner Vermieterinnen,[2]der schon den Aushängezettel mitjenen feinen Nüancen versieht, welche auf denPreis schließen lassen, erleichterte ihm dasSuchen.
Eines Nachmittags erkletterte er die zwei steilenTreppen eines ziemlich vornehmen Hauses in derHeßstraße. „Pension Bender“ stand an derKorridorthüre.
Ein kleines, zierliches Fräulein führte ihn indas ausgeschriebene Zimmer. Leutselig und mitweltmännischem Behagen betrachtete Falk die vierWände des Zimmerchens und beklagte, daß keineOttomane oder „so was Ähnliches“ vorhanden sei.Derselbe herablassende junge Mann hatte sich vornoch nicht vier Tagen mit einem Mittagessen begnügt,das aus einem für zehn Pfennige Äpfelbereiteten Mus und mit einem Abendessen, welchesaus purem Schwarzbrot bestand.
Mit ironischem Lächeln beobachtete ihn dasjunge Mädchen. Es schien seine Spottlust mitMühe zu zügeln.
„Warum lachen Sie denn?“ fragte Falk indemer ein möglichst gutmütiges Gesicht machte,fügte aber sogleich hastig hinzu, daß er das Zimmermieten würde. „Wer wohnt denn sonst noch beiIhnen?“ fragte er, mit der Nase in der Luftschnuppernd, denn es roch nach Weihrauch.
Das Mädchen ließ ein helles, hölzernes Lachenhören und erwiderte: „Nebenan wohnt Doktor[3]Brosam – er ist Arzt und er mag den Weihrauchsehr gern –“
„Pfui!“
„Dann ein Fräulein von Erdmann, eine Gelehrte,und Fräulein Mirbeth. Das ist alles.“
„Eine Gelehrte –? Jung?“
Jetzt lachten sie Beide. –
Gegen Abend des nächsten Tages – es warder 1. November – bezog Falk seine neueWohnung. Als er mit Auspacken und Ordnenseiner Habseligkeiten fertig war, ging er in dieKüche, um die Magd nach etwas zu fragen. DieKüchenthüre stand halboffen und er wollte sieschon aufstoßen, als ihn der Anblick einer weiblichenGestalt, welche drinnen ganz nahe an derThür stand, daran hinderte. Diese Gestalt wargroß und schlank, fast hager. Das ihm zugewandteProfil zeigte herbe und unschöne Linien, ja, eserschien ihm fast abstoßend. Soviel er im Dunkelnurteilen konnte, war sie noch sehr jung; er hörteeine schleppende und etwas gewöhnliche Stimme,die mit dem Tonfall einer Ermüdeten der MagdErklärungen irgend welcher Art gab.
Vidl Falk wandte sich rasch ab, um nicht gesehenzu werden; aber in diesem Augenblick kamdas Fräulein Bender aus dem Wohnzimmer undfragte nach seinem Begehr. Während er nochmit ihr sprach, verließ das sch