Anmerkungen zur Transkription:
Der Text stammt aus: Imago. Zeitschrift für Anwendung derPsychoanalyse auf die Geisteswissenschaften V (1919). S. 297–324.
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Von SIGM. FREUD.
Der Psychoanalytiker verspürt nur selten den Antrieb zu ästhetischenUntersuchungen, auch dann nicht, wenn man dieÄsthetik nicht auf die Lehre vom Schönen einengt, sondernsie als Lehre von den Qualitäten unseres Fühlens beschreibt. Erarbeitet in anderen Schichten des Seelenlebens und hat mit den zielgehemmten,gedämpften, von so vielen begleitenden Konstellationenabhängigen Gefühlsregungen, die zumeist der Stoff der Ästhetiksind, wenig zu tun. Hie und da trifft es sich doch, daß er sichfür ein bestimmtes Gebiet der Ästhetik interessieren muß, und dannist dies gewöhnlich ein abseits liegendes, von der ästhetischen Fachliteraturvernachlässigtes.
Ein solches ist das »Unheimliche«. Kein Zweifel, daß es zumSchreckhaften, Angst- und Grauenerregenden gehört, und ebensosicher ist es, daß dies Wort nicht immer in einem scharf zu bestimmendenSinne gebraucht wird, so daß es eben meist mit demAngsterregenden überhaupt zusammenfällt. Aber man darf doch erwarten,daß ein besonderer Kern vorhanden ist, der die Verwendungeines besonderen Begriffswortes rechtfertigt. Man möchte wissen, wasdieser gemeinsame Kern ist, der etwa gestattet, innerhalb des Ängstlichenein »Unheimliches« zu unterscheiden.
Darüber findet man nun so viel wie nichts in den ausführlichenDarstellungen der Ästhetik, die sich überhaupt lieber mit den schönen,großartigen, anziehenden, also mit den positiven Gefühlsarten, ihrenBedingungen und den Gegenständen, die sie hervorrufen, als mitden gegensätzlichen, abstoßenden, peinlichen beschäftigen. Von seitender ärztlich-psychologischen Literatur kenne ich nur die eine, inhaltsreicheaber nicht erschöpfende, Abhandlung von E. Jentsch (Zur Psychologie des Unheimlichen, Psychiatr.-neurolog. Wochenschrift 1906Nr. 22 u. 23). Allerdings muß ich gestehen, daß aus leicht zu erratenden,in der Zeit liegenden Gründen die Literatur zu diesem kleinen Beitrag,insbesondere die fremdsprachige, nicht gründlich herausgesucht wurde,weshalb er denn auch ohne jeden Anspruch auf Priorität vor denLeser tritt.
Als Schwierigkeit beim Studium des Unheimlichen betontJentsch mit vollem Recht, daß die Empfindlichkeit für diese Gefühlsqualitätbei verschiedenen Menschen so sehr verschieden angetroffenwird. Ja, der Autor dieser neuen Unternehmung muß sicheiner besonderen Stumpfheit in dieser Sache anklagen, wo große Feinfühligkeiteher am Platze wäre. Er hat schon lange nichts erlebt oderkennen gelernt, was ihm den Eindruck des Unheimlichen gemachthätte, muß sich erst in das Gefühl hineinversetzen, die Möglichkeitdesselben in sich wachrufen. Indes sind Schwierigkeiten dieser Artauch auf vielen anderen Gebieten der Ästhetik mächtig; man brauchtdarum die Erwartung nicht aufzugeben, daß sich die Fälle werdenherausheben lassen, in denen der fragliche Charakter von den meistenwiderspruchslos anerkannt wird.
Man kann nun zwei Wege einschlagen: nachsuchen, welcheBedeutung die Sprachentwicklung in dem Worte »unheimlich« niedergelegthat, oder zusammentragen, was an Personen und Dingen,Sinneseindrücken, Erle