Roman
von
Erste bis vierte Auflage
Deutsche Verlags-Anstalt
Stuttgart und Leipzig
1908
[4]Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten
Published May 6th, 1908. Privilege of copyright in the UnitedStates reserved under the act approved March 3, 1905 byDeutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart
Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart
Papier von der Papierfabrik Salach in Salach, Württemberg
In den ersten Sommertagen des Jahres 1828liefen in Nürnberg sonderbare Gerüchte über einenMenschen, der im Vestnerturm auf der Burg inGewahrsam gehalten wurde und der sowohl derBehörde wie den ihn beobachtenden Privatpersonentäglich mehr zu staunen gab.
Es war ein Jüngling von ungefähr siebzehnJahren. Niemand wußte, woher er kam. Erselbst vermochte keine Auskunft darüber zu erteilen,denn er war der Sprache nicht mächtigerals ein zweijähriges Kind; nur wenige Wortekonnte er deutlich aussprechen, und diese wiederholteer immer wieder mit lallender Zunge, baldklagend, bald freudig, als wenn kein Sinn dahintersteckteund sie nur unverstandene Zeichenseiner Angst oder seiner Lust wären. Auch seinGang glich dem eines Kindes, das gerade dieersten Schritte erlernt hat: nicht mit der Ferse berührteer zuerst den Boden, sondern trat schwerfälligund vorsichtig mit dem ganzen Fuße auf.
Die Nürnberger sind ein neugieriges Volk.Jeden Tag wanderten Hunderte den Burgberghinauf und erklommen die zweiundneunzig Stufendes finstern alten Turmes, um den Fremdlingzu sehen. In die halbverdunkelte Kammer zutreten, wo der Gefangene weilte, war untersagt,und so erblickten ihre dichtgedrängten Scharenvon der Schwelle aus das wunderliche Menschenwesen,das in der entferntesten Ecke des Raumeskauerte und meist mit einem kleinen weißen Holzpferdchenspielte, das es zufällig bei den Kinderndes Wärters gesehen und das man ihm, gerührtvon dem unbeholfenen Stammeln seines Verlangens,[9]geschenkt hatte. Seine Augen schienendas Licht nicht erfassen zu können; er hatte offenbarFurcht vor der Bewegung seines eignenKörpers, und wenn er seine Hände zum Tastenerhob, war es, als ob ihm die Luft dabei einenrätselhaften Widerstand entgegensetzte.
Welch ein armseliges Ding, sagten die Leute;viele waren der Ansicht, daß man eine neueSpezies entdeckt habe, eine Art Höhlenmenschetwa, und unter den berichteten Seltsamkeiten warnicht die geringste die, daß der Knabe jede andreNahrung als Wa