AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT
– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –
AUSSENSEITER
DER GESELLSCHAFT
– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –
HERAUSGEGEBEN VON
RUDOLF LEONHARD
BAND 2
VERLAG DIE SCHMIEDE
BERLIN
VON
EGON ERWIN KISCH
VERLAG DIE SCHMIEDE
BERLIN
EINBANDENTWURF
GEORG SALTER
BERLIN
6.-10. TAUSEND
Copyright 1924 by Verlag Die Schmiede Berlin
Im Jahre vor Beginn des Weltkrieges hatder erzwungene Selbstmord des Prager Korps-GeneralstabschefsOberst Alfred Redl und diebald darauf bekannt gewordene Tatsache seinerSpionagetätigkeit beispielloses Aufsehenhervorgerufen, was durch die gespannte europäischeLage politisch und durch den Rangund den Wirkungskreis des Täters kriminalistischbegründet war. Gerüchte, Interpellationen,Beschuldigungen, Verdächtigungenund Kombinationen überstürzten sich bis inden Winter 1914, da sich der Aufmarsch derösterreichisch-ungarischen Armee als mißglücktentschied.
Allein wie es die Tendenz dieses Befehls zufreiwilligem Hinscheiden gewesen war, denmonströsen Vorfall lautlos aus der Welt zuschaffen, so hat man auch nachher, als sichdieser Plan schon längst als undurchführbarerwiesen hatte, kein Wort darüber verlautbart,für welche Großmächte der Generalstabsoberstseine Spionage betrieben, was erverraten, wohin er die militärischen Dokumentegeliefert, wieviel Geld er dafür bekommen,und wer schließlich den ungeheuerlichenAuftrag gegeben hatte, daß sich einMensch selbst zu entleiben habe, wer diesesHarakiri überwachte, und wie sich die Wirkungdieses Vorfalles auf Hof und Wehrmachtäußerte. Ja, selbst über die Entdeckungder Tat und die Überführung desTäters wurden nur Darstellungen bekannt,die einander widersprachen oder die die Wahrheitverschleiern sollten.
Dem österreichisch-ungarischen Generalstab,d. h. vor allem dem Evidenzbureau desGeneralstabs wurde von den verschiedenstenSeiten der Vorwurf gemacht, daran schuld zusein, daß ein so hochgestellter Militär jahrelangungehindert das Gewerbe eines Spionsauszuüben vermocht hatte und daß durchden Befehl, Selbstmord zu verüben, die volleAufklärung dieser politisch, militärisch undhistorisch wichtigen Kriminalaffäre verhindertworden sei. Im besonderen wurde derdamalige Chef des Evidenzbureaus AugustUrbañski von Ostromiecz in diesem Zusammenhangviel genannt. Als nun ein Jahr nachder Aufdeckung des Falles die Nachricht vonder Versetzu