Nachttänze der Indianer

Von B. Traven, Tamaulipas (Mexiko)

In: Das Buch für alle. Stuttgart, 1926, H. 7, S. 156-157.

Es war an einem Spätnachmittag im November und sehr heiß. Ich saßvor meiner Hütte und las.

Plötzlich kommt ein Indianer, mein Nachbar, angeritten, steigt ab, setztsich zu mir, und nach einer kurzen Einleitung kam mein rothäutiger Nachbarzum Kernpunkt seines Besuches. „Wir machen heute abend Tanzen bei mir.Wir haben Musica, auch ich werde schön spielen, Guitarra, ich habe esgelernt fünf Tage. Wir machen viel Spaß. Sie sind hier so allein und sosehr traurig, Señor.“

Ich war keineswegs traurig. Im Gegenteil, ich war überaus glücklich,weder Straßenbahnen nachjagen noch vor Automobilen fliehen zu müssen,noch Telephongerassel hören noch von der elektrischen Klingel mich verrücktmachen lassen zu müssen. Aber wenn man keine indianische Köchinins Haus nimmt, so ist man, nach Ansicht der Indianer, unbedingt traurig.Mir fehlten nur die acht Pesos, die eine Köchin monatlich als Lohn habenmöchte.

„Darum möchte ich Sie einladen, kommen Sie herüber zu unserem Tanz.Sie können bei mir zu Abend essen.“

„Kommen hübsche Mädchen hin?“

„Hübsche, Señor? Hübsche? Die allerhübschesten, die hierherum wohnen,kommen alle.“

So machte ich mich denn bei Sonnenuntergang auf den Weg, um nochvor der Nacht, die unheimlich rasch hereinbricht, bei dem Nachbar zu sein.

Seine Hütte lag auf demselben Höhenzuge, auf dem meine Höhle lag,aber er wohnte noch abgeschiedener im Dschungel als ich. Warum er sichwohl so tief verkrochen haben mochte?

Der Platz war idyllisch. Etwa zwanzig riesige Bäume standen über dieBuschlichtung verstreut, die eine Art Hochfläche bildete, von der aus manweit über das flache Dschungelland blicken konnte. Die Bäume hatten meterlangegraue Moosbärte. Sie sahen aus wie sehr lustige und vergnügtealte Herren.

Zwei Indianer mit ihren Frauen waren schon da. Nachdem die sehrhöfliche Begrüßung vorüber war, wurde ich aufgefordert, in die Hütte zukommen und zu Abend zu essen. Es gab schwarze Bohnen, Tortillas undschwarzen Kaffee.

Inzwischen kamen weitere Gäste, nur Indianer. Ich war der einzigeWeiße und war nur deshalb eingeladen worden, weil ich ein Mitbewohnerdieses wilden Dschungelbezirks war.

Die Indianer kamen auf Pferden, Eseln oder Maultieren geritten. Vielehatten keine Sättel, sondern nur eine Matte. Alle brachten ihre Frauenund Kinder mit. Manchmal saßen Mann, Frau und drei Kinder auf demselbenPferde, während die Frau noch einen Säugling im Arm hielt. DieIndianerfrauen sitzen nur in seltenen Fällen, wenn es gar nicht anders geht,nach Männerart auf dem Pferde. In einem umgehängten Basttäschchenhatten sie Tortillas, falls sie Hunger bekommen sollten, denn getanzt wirdbis Sonnenaufgang. Tortillas sind kleine dünne Pfannküchelchen aus Mais,der auf einem Stein zerrieben wird. Anderes Brot mögen die Indianernicht essen.

In einem Sack hatten die Frauen ihre Musselinkleider und Halbschuheaus Lackleder mit hohen Absätzen. Bei der Ankunft waren sie entwederbarfuß oder hatten schlichte Sandalen an, und gekleidet waren sie in billigenKattunkleidern.

Sobald sie von den Reittieren abgesessen waren, verkrochen sie sich ineinen Winkel der Hütte oder hinter die Hütte und zogen sich um. Dannwuschen sie sich noch einmal, wobei sie eine stark nach Patschuli und Moschusriechende Seife benutzten, lösten ihr langes rabenschwarzes Haarund kämmten es eine halbe Stunde lang durch. Nachdem sie Blumenhineingesteckt

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