GOETHES WELTANSCHAUUNG.
Die Gedanken, die ich in diesem Buche mitteile,sollen die Grundstimmung festhalten, die ich in der WeltanschauungGoethes beobachtet habe. Im Lauf vieler Jahre habe ich immer wieder undwieder das Bild dieser Weltanschauung betrachtet. Besonderen Reiz hattees für mich, nach den Offenbarungen zu sehen, welche die Naturüber ihr Wesen und ihre Gesetze den feinen Sinnes- undGeistesorganen Goethes gemacht hat. Ich lernte begreifen, warum Goethediese Offenbarungen als so hohes Glück empfand, daß er siezuweilen höher schätzte als seine Dichtungsgabe. Ich lebtemich in die Empfindungen ein, die durch Goethes Seele zogen, wenn ersagt, daß „wir durch nichts so sehr veranlaßt werdenüber uns selbst zu denken, als wenn wir höchst bedeutendeGegenstände, besonders entschiedene Naturscenen nach langenZwischenräumen endlich wiedersehen und den zurückgebliebenenEindruck mit der gegenwärtigen Einwirkung vergleichen. Da werdenwir denn im Ganzen bemerken, daß das Object immer mehrhervortritt, [VI]daß, wenn wir uns früher anden Gegenständen empfanden, Freud und Leid, Heiterkeit undVerwirrung auf sie übertrugen, wir nunmehr bei gebändigterSelbstigkeit ihnen das gebürende Recht widerfahren lassen, ihreEigenheiten zu erkennen und ihre Eigenschaften, sofern wir siedurchdringen, in einem höhern Grade zu schätzen wissen. JeneArt des Anschauens gewährt der künstlerische Blick, dieseeignet sich dem Naturforscher, und ich mußte mich, zwar anfangsnicht ohne Schmerzen, zuletzt doch glücklich preisen, daß,indem jener Sinn mich nach und nach zu verlassen drohte, dieser sich inAug und Geist desto kräftiger entwickelte.“
Die Eindrücke, welche Goethe von den Erscheinungender Natur empfangen hat, muß man kennen, wenn man den vollenGehalt seiner Dichtungen verstehen will. Die Geheimnisse, die er demWesen und Werden der Schöpfung abgelauscht hat, leben in seinenkünstlerischen Erzeugnissen und werden nur demjenigen offenbar,der hinhorcht auf die M