KRONEN
BÜCHER

Romane erster Schriftsteller

Lebenswende

Roman

von

Walter v. Molo

RUDOLF MOSSE
(KRONEN-VERLAG)
BERLIN SW 68

Alle Rechte, insbesondere das der Uebersetzung, vorbehalten
Nachdruck verboten
Copyright 1918 by Rudolf Mosse, Berlin SW 19

Lebenswende

erschien im Jahre 1908 unter dem Titel »KlausTiedemann, der Kaufmann«; vorliegende Ausgabeist vom Autor neu durchgesehen und in mancherHinsicht verändert worden.


[S. 7]

»Willst du noch ein Butterbrot?« fragte zumzweitenmal Hilde Tiedemann ihren jüngeren BruderLeo und sah über den Frühstückstisch.

Als wieder keine Antwort kam, stellte sie klirrenddie Tasse nieder, die sie in der Hand gehalten hatte,und trat zu dem Knaben, der mit starren Augen vorsich niedersah. »Leo!« Sie rüttelte die schwächlicheGestalt, daß die beinahe vornüber fiel, und strich ihmdas seidenweiche Haar aus der Stirn. »Was istmit dir?«

Langsam richtete sich der kränkliche Achtzehnjährigeauf; er kniff mißmutig die Brauen zusammen: »Ichmag nichts, hab' ich gesagt!« Es klang verhaltenerAerger aus der lügenden Stimme.

»Du hast nichts gesagt,« antwortete sie und sahzu der Uhr, die über dem Kamin in bedächtigem Gangihr Pendel schwang. »Du solltest schon lange in derSchule sein!«

Leo zog ärgerlich die Schultern: »Laß das meineSorge sein und kümmer' dich um andere!« SeineAugen gewannen an Glanz, weil er eine Waffe gegenseine Schwester gefunden zu haben meinte: »Zum[S. 8]Beispiel um deinen Hansen, der ist gewiß jetzt noch imBett.« Er lachte, und die Schadenfreude saß umseinen blassen Mund.

Hilde war rot geworden und gab keine Antwort,nur mit dem Löffel stocherte sie in der Tasse, trotzdemder Zucker schon lange vergangen war. Dann standsie jäh auf, mit plötzlichem Entschluß. »Stichle, solangedu willst, es ist mir gleich,« sagte sie, hochatmend holtesie Luft, »aber das eine muß ich dir sagen, wenn duso weiter machst, Leo, dann nimmt es ein schlechtesEnde mit dir!«

Leo hatte sich im Sessel zurückgelehnt und sah miteinem Blick, der unbefangen sein sollte, aber dochwiderwilliges, ängstliches Eingestehen zeigte, auf seineSchwester. Er versuchte ein verlegenes Lächeln:»Was wird ein schlechtes Ende nehmen, bei mir oderbei dir?« sagte er.

»Du!« ihr Fuß stampfte entrüstet auf, »du weißtganz gut, was ich meine! Sei nicht so häßlich mitmir!« Unwillig warf er die Serviette auf den Tisch:

»Ich bin kein kleiner Bub, der dir über allesRechenschaft geben muß.«

»Das will ich auch nicht, aber schonen sollst dudich und deine Gesundheit; mußt du denn jetzt schonalles mitmachen, immer dein Erwachsenen-Spielen!Du hast doch das ganze Leben vor dir? Wenn Papawüßte, wann

...

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