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RABINDRANATH TAGORE
GESAMMELTE
WERKE
SECHSTER BAND
MÜNCHEN
KURT WOLFF VERLAG
RABINDRANATH TAGORE
DAS HEIM
UND DIE WELT
ROMAN
MÜNCHEN
KURT WOLFF VERLAG
Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. Nach dervon Rabindranath Tagore selbst veranstaltetenenglischen Ausgabe ins Deutsche übertragen vonHelene Meyer-Franck
Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag in München
DAS HEIM UND DIE WELT
Mutter, heute sehe ich wieder vor meinemGeiste dein rotes Stirnzeichen[1], den Sari[2],den du zu tragen pflegtest, mit seinem breiten,roten Saum, und deine wundervollen Augen vollTiefe und Frieden. Sie kamen am Anfang meinerLebensbahn wie das erste Licht des dämmerndenMorgens und gaben mir goldenen Vorrat mitauf den Weg.
Das Antlitz meiner Mutter war dunkel, aber eshatte einen Heiligenschein, und ihre Schönheitbeschämte alle Eitelkeit der Schönen.
Jeder sagt, daß ich meiner Mutter ähnlich sehe.In meiner Kindheit mochte ich dies gar nichthören. Ich hatte das Gefühl, daß Gott ungerechterweiseeine Hülle um meine Glieder gelegt [S. 2]hätte, — daß mein dunkles Antlitz mir eigentlichnicht zukäme, sondern durch irgend ein Versehenmir zuteil geworden wäre. Alles, was ichvon Gott als Entschädigung dafür erbittenkonnte, war, daß ich zu der Idealgestalt einesWeibes heranwachsen möchte, wie sie die großenHeldengedichte schildern.
Als der Heiratsantrag für mich kam, prüfte derbegleitende Astrolog meine Handfläche undsagte: »Dies Mädchen hat gute Zeichen. Sie wirdeine ideale Ehefrau werden.«
Und alle Frauen, die es hörten, sagten: »Das istkein Wunder, denn sie gleicht ihrer Mutter.«
Ich wurde mit einem Radscha[3] vermählt. AlsKind war ich ganz vertraut mit den Schilderu