Alle guten Geister ...


Roman

von

Anna Schieber


Vierzehnte Auflage


Verlag von Eugen Salzer in Heilbronn
1908

Christliches Verlagshaus, Buchdruckerei, Stuttgart.

Erstes Buch

Erstes Kapitel

Es sind allerlei Leute, die sich in diese Geschichte hereindrängen.Es ist eine ganze Versammlung von Leuten,alten und jungen, und es ist gar nicht leicht, sie alle anden richtigen Platz zu stellen. Da sind wohl solche darunter,die warten könnten, bis die Reihe an sie käme.Zum Beispiel der Rektor Cabisius, der mit seinen heitern,milden, jungen Augen durch den Garten geht und mitsiebzig Jahren noch an die Freude glaubt, oder „jetzterst recht“, wie er selber sagt. Und der Turmwächterund Schneidermeister Nössel und seine Schwester, FrauJudith, die so wunderbare Dinge sah, und der alteHollermann, und immer noch mehrere, da nun das Toroffen ist. Da ist der alte Hirt, der dreimal über denStock sprang, wenn er sein Morgengebet verrichten wollte,und der sinnige Küfermeister Riedel, von dem auch einigeszu sagen sein wird. Sie alle könnten wohl warten, bisdie Reihe an sie kommt, denn das Warten haben sieunter andern guten Tugenden durch ein langes Lebenhindurch gelernt und wenn sie gefragt würden, so würdensie sagen, wie so oft im Leben: nur immer die Jugendvoran. Wir Alten gehen gern einen sachten, behaglichenSchritt, und dann: es ist auch besser, die Jungen imAug’ zu behalten. Und die Frau Rektorin Cabisiuswürde nach ihrer Gewohnheit ein paar rasche, trippelndeSchritte machen, dem Mittelpunkt zu, und dann wiederstehen bleiben und ihrem Mann zunicken: so komm doch,Alter. Ich sehe nicht ein, warum du dich so hinten hältst.Und dann würde sie selber zu ihm zurücktreten und nurdie kleine Gertrud vorschieben und mit bescheidenem Stolzsagen: das Kind hat heute seinen ersten Schritt gemacht;das darf nicht übergangen werden.

So soll nun die Frau Rektorin Recht behalten, undder erste Schritt in das Buch hinein soll auch von einemersten Schritt ins Leben hinein handeln. Und die andernmögen ihm zusehen, und es wird nach und nach ein jedesseinen Platz in der Geschichte finden, die einen kommend,die andern gehend, ganz wie im Leben draußen auch.Und es wird Lichter und Schatten darin geben und zuletztwird die Sonne über die Schatten siegen, wie dasso ihre Art ist.

**
*

Es ist wohl der Mühe wert, von dem ersten Schrittzu reden. Da ist so eine lange, lange Bahn, es ist nichtzu sagen, wieviel Schritte darauf zu tun sind. Undniemand weiß, wann er sie zum erstenmal betritt, was erauf ihr finden wird. Wo sollte sonst ein junges Menschenwesenden Mut hernehmen, sich auf die Füße zu stellenund sich auf den Weg zu machen?

Der Frühlingssonnenschein lag auf der alten Stadtmauer,auf den Giebeldächern des Städtchens und aufden Gärten, die in der Hut der Stadtmauer und derGiebeldächer lagen und sich darauf besannen, daß es einschönes, festliches Ding um Frühling, Leben, Werdenund Wachsen sei.

Die Luft war voll Schwalbengezwitscher und Starengeschwätze.Auf dem Kirchendach klapperten die Störche,in den Blüten der Frühkirschenbäume summten dieBienen wie toll vor ausgelassener Daseinsfreude. EineKatze schnurrte auf dem Bretterzaun. Es war kein üblerZeitpunkt, den ersten Schritt zu wagen.

„Freude, Tochter aus Elysium,“ sang die Schöpfungund ließ alle Instrumente dazu

...

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