DALMATINISCHE
REISE

VON
HERMANN
BAHR

[dekorative Abbildung]

S·FISCHER·VERLAG·BERLIN·1909

DRITTE AUFLAGE

Umschlag und Einband von Professor Emil Orlik.

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.Copyright 1909 by S. Fischer, Verlag, Berlin.

Die Abbildungen verdankt der Verfasser der Güte desIngenieurs Meitner in Salona, sowie der KunstanstaltStengel in Dresden, die geplanten eigenen Aufnahmensind von der Ragusäischen Polizeibehörde verhindertworden.

DALMATINISCHE REISE

1.

Jetzt kommt es wieder! Immer um diese Zeit. Wennder Februar sich in den kahlen Ästen dehnt.

Oft um Weihnachten schon geschieht es mir, daßich, auf dem Semmering vom Doppelreiter zum Wolfsbergkogelrodelnd, plötzlich das Meer sehe, das blaue Meer. Nureinen Moment lang. Der Wind schneit mich an, die Nadelnzergehen, mich wässert in den Augen; und indem ich sieschließen muß, begibt es sich, daß ich das blaue Meer sehe.Die Lider, fest vor dem stechenden Schnee zugepreßt,lassen mich das blaue Meer sehen. Nur einen Moment lang.Schon bin ich wieder wach und erblicke den Eselstein,drüben vor mir, im wogenden Grau. Das blaue Meer habenmir bloß meine Lider vorgeträumt. Nur einen Moment lang.Aber diesen war es in mir da. Und mitten im neblichtenDampf und stachligen Schnee weiß ich jetzt plötzlich wieder,daß irgendwo das blaue Meer ist. Und während ich dann,von der Station den weich verschneiten Berg hinauf, schnaufendmeine Rodel schleppe, sagt alles in mir: Blau, blau,blau! Das ist mir wie ein magisches Wort, das alle Sehnsuchtstillen kann. Und abends dann, im winterlichen Behagenfrottierter Füße in frischen Strümpfen, wenn im Kamin diegroßen Scheite krachen und ihre roten Zungen zeigen, verfolgtes mich. Immer mit denselben beiden Bildern: ichsehe mich in Mattuglie aus dem Zug steigen und vor mirliegt in der Sonne das blaue Meer da, bis zur Insel Chersohin; oder ich bin über San Giacomo, auf der weißen Straßenach Trebinje, und unten ist das blaue Meer und drübendas immergrüne Lakroma und dann wieder das blaue Meer und überall das blaue Meer, jauchzend in der Sonne. Immerdiese zwei Bilder sind dann bei mir, zum Greifen leibhaftvor mir da. Bis ein großes Scheit prasselnd einbricht undmich aufschreckt: das Gesicht zerrinnt, zum Fenster sehendie stillen alten Fichten herein, in ihren weißen Mänteln.

Und in der hellen Winterslust wird es wieder vergessen.Wochenlang. Aber wenn dann im Februar plötzlich manchmalnachts ein warmer Wind über den Acker fliegt, daßman aus dem Schlaf ans Fenster fährt, als hätte druntenim Garten das Glück gerufen, das Glück selbst mit seinerwilden Stimme, wie mit Peitschenknall, wenn das bangeStöhnen in den nackten Ästen ist, wenn die Wolken, wietolles Vieh, in Angst und Entsetzen durcheinander rennen,dann kann ich nicht mehr, dann weiß ich sonst gar nichtsmehr, dann bin ich überall bis an den Rand von Gier voll,Gier nach dem Meer, nach unserem blauen Meer in derSonne.

Immer um diese Zeit. Wenn man am Zittern der kahlenÄste merkt, daß schon das Blut in ihnen schlägt.

Und dann steht wieder jene Zeit in mir auf, jene dunkleZeit vor fünf Jahren. Da war ich am Tode, die Kraftentsank meinem Herzen. Der Arzt schickte mich nach einerAnstalt am Bodensee. Ganz einsam saß ich dort, in Erwartung.Schnee. Sturm. Nebel. Und kein Atem. Und dieFurcht. Damals habe ich das Wort Trübsinnig verstehen

...

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