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Todsünden
Roman
von
Hermann Heiberg
Berlin
Verlag des Vereins der Bücherfreunde
1891
Hermann Heiberg.
Unter den großen Verdiensten, die der Träger dieses vielgefeiertenNamens sich erworben, steht nicht in letzter Linie das: in jenendrangvollen Zeiten, als eine kraftvolle Gegenwartskunst mit einerschwächlichen Nachklangskunst zusammenprallte, der neuen Dichtung in denweiteren Kreisen des bis dahin gleichgültig gebliebenen Publikums Bahngebrochen zu haben.
Es geschah dies durch seine Bücher „Plaudereien mit der Herzogin von
Seeland“ und „Apotheker Heinrich.“
Aber wie, Heiberg ein Bahnbrecher? Er war allerdings sehr viel wenigerein solcher, als die, welche das Wort Realismus auf ihre Fahnegeschrieben hatten. Er — so wenig wie Theodor Fontane — brach auchkeineswegs so ganz mit der Vergangenheit, wie jene es zu thun meinten;er — so wenig wie Theodor Fontane — stellte keine großartigen, langatmigenund langweiligen Programme auf; er — so wenig wie TheodorFontane — spielte sich als Begründer einer ganz neuen, noch niedagewesenen Poesie auf. Dafür vollbrachten Theodor Fontane und HermannHeiberg realistische Thaten; sie waren unter den ersten in Deutschland,welche die Wirklichkeitskunst begründeten. In den siebziger Jahrenerschien ganz im Stillen Fontanes „L'Adultera“; Heiberg schrieb 81 seinegraziösen, entzückenden Plaudereien und zwar nur, „um seine mißmutigenGedanken zu töten,“ keineswegs aber, am allerwenigsten, um Belegstückezu liefern, welche die einzige Berechtigung des neuen Dogmas darthunsollten.
Er schrieb sie freilich gerade in der Zeit, als jener heiße Kampfentbrannte; doch hat das vielleicht nicht so sehr den maß- undgeschmackvollen Realismus, der seine Dichtungen kennzeichnet,hervorgerufen, als sein durch seine Vergangenheit geschärfterWirklichkeitssinn. Er war Realist, er wurd' es nicht erst. Denn erhatte gelebt, und er hatte erlebt, eh' er die Feder ergriff; er war einreifer Mann, als er sein erstes Buch schrieb; er erfüllte buchstäblichdie Forderung der Concourts, (wenn ich nicht irre, waren es die beidenBrüder, welche sie aufstellten,) daß man erst vierzig Jahre zählenmüsse, bevor man sich Realist nennen dürfe. Aber Realist! Meines Wissenshat sich Heiberg nie so genannt, und da seine Bücher nicht „die einzigeBerechtigung des Realismus“ beweisen wollten, da er sich nicht auf eineinseitiges Dogmenverkünden und Dogmenbeweisen kapriziert hatte, sondernin Wahrheit nichts anderes als wirken, nämlich die Sinne und die Seeledes Lesers nach seinem Willen regieren, sie mit den Bildern undVorstellungen, welche seine Ideen forderten, füllen wollte — etwas, wasbis jetzt alle Dichter seit Homer, ohne Ausnahme, erstrebten —, so nahteseinen Büchern das Publikum sich unbefangen und ohne jeglicheVoreingenommenheit. Dem Publikum ist es nämlich in der That ja ganzgleichgültig, wer vor ihm steht, ob es ein Idealist, Romantiker, Realistoder was immer sei — als ob überhaupt die Wirklichkeit diese Gegensätzeso scharf begrenzt anseinanderhielte! — es will nur eins: es willbezwungen sein; der Leser wünscht zu fühlen, daß der Künstler Gewaltüber ihn habe, er will sein Gefangener sein…
Heiberg bezwang das Publikum; er fesselte es mit Rosenguirlanden inseinen entzückenden Plaudereien; aber aus seinen folgenden Büchern — ichdenke hier besonders an den „Apotheker Heinrich“ — langte es mitunterzugleich wie ein Paar grauer Schattenarme, die sich Einem unvermerkt umden