Anmerkungen zur Transkription:
Der Text stammt aus: Imago. Zeitschrift für Anwendung derPsychoanalyse auf die Geisteswissenschaften I (1912).S. 213–227 und 301–333.
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Tabu ist ein polynesisches Wort, dessen Übersetzung unsSchwierigkeiten bereitet, weil wir den damit bezeichneten Begriffnicht mehr besitzen. Den alten Römern war er noch geläufig;ihr sacer war dasselbe wie das Tabu der Polynesier.Auch das ἄγος der Griechen, das Kodausch der Hebräer mußdas nämliche bedeutet haben, was die Polynesier durch ihr Tabu,viele Völker in Amerika, Afrika (Madagaskar), Nord- und Zentral-Asiendurch analoge Bezeichnungen ausdrücken.
Uns geht die Bedeutung des Tabu nach zwei entgegengesetztenRichtungen auseinander. Es heißt uns einerseits: heilig, geweiht,anderseits: unheimlich, gefährlich, verboten, unrein. DerGegensatz von Tabu heißt im Polynesischen noa = gewöhnlich,allgemein zugänglich. Somit haftet am Tabu etwas wie der Begriffeiner Reserve, das Tabu äußert sich auch wesentlich in Verbotenund Einschränkungen. Unsere Zusammensetzung »heilige Scheu«würde sich oft mit dem Sinn des Tabu decken.
Die Tabubeschränkungen sind etwas anderes als die religiösenoder die moralischen Verbote. Sie werden nicht auf das Geboteines Gottes zurückgeführt, sondern verbieten sich eigentlich vonselbst; von den Moralverboten scheidet sie das Fehlen der Einreihungin ein System, welches ganz allgemein Enthaltungen fürnotwendig erklärt und diese Notwendigkeit auch begründet. DieTabuverbote entbehren jeder Begründung; sie sind unbekannterHerkunft; für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständlich,die unter ihrer Herrschaft stehen.
Wundt(1) nennt das Tabu den ältesten ungeschriebenenGesetzeskodex der Menschheit. Es wird allgemein angenommen,daß das Tabu älter ist als die Götter und in die Zeiten vor jederReligion zurückreicht.
Da wir einer unparteiischen Darstellung des Tabu bedürfen,um dieses der psychoanalytischen Betrachtung zu unterziehen, lasseich nun einen Auszug aus dem Artikel »Taboo« der »EncyclopediaBritannica«(2) folgen, der den Anthropologen NorthcoteW. Thomas zum Verfasser hat.
»Streng genommen umfaßt tabu nur a) den heiligen (oderunreinen) Charakter von Personen oder Dingen, b) die Art derBeschränkung, welche sich aus diesem Charakter ergibt und c) dieHeiligkeit (oder Unreinheit), welche aus der Verletzung dieses Verboteshervorgeht. Das Gegenteil von tabu heißt in Polynesien›noa‹, was ›gewöhnlich‹ oder ›gemein‹ bedeutet ...«
»In einem weiteren Sinne kann man verschiedene Arten vonTabu unterscheiden: 1. Ein nat BU KİTABI OKUMAK İÇİN ÜYE OLUN VEYA GİRİŞ YAPIN!
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