Roman
von
Engelharts erste Kindheitserinnerung knüpfte sichan eine Feuersbrunst. Die Mutter saß amoffenen Fenster, und der Knabe spielte zuihren Füßen in der Nähe eines Kochtopfes, in dessenInnern sich Überreste von Pflaumenmus befanden.Da wurde Frau Ratgeber durch einen Aufschrei von derGasse veranlaßt, zum Fenster hinauszuschauen. Neugierigkletterte Engelhart auf einen Stuhl, beugte sichüber das Sims und sah, von der Mutter beimÄrmel festgehalten, eine ragende Feuersäule, die fernaus der Tiefe der Straße emporschoß. Nachdem erdas Schauspiel mit erstaunten Blicken betrachtet, kehrteer wieder zum Fußboden zurück und benutzte dieanderswo hingelenkte Aufmerksamkeit der Mutter,um aus dem Pflaumentopf ein paar Fingerspitzenvoll zu naschen.
Am folgenden Tag um die Dämmerungszeit nahmer ein kleines Spielhäuschen, begab sich damit undmit Zündhölzern versehen in den abgelegensten Winkeldes Hofes, scharrte einen Sandhügel zusammen, trugSpäne herbei und machte im Innern seines GebäudesFeuer an. Die Flammen schlugen jäh aus demkleinen Tor heraus, die durch rote Farbenflecke angedeutetenFensterchen begannen zu zerfließen, derganze Hof lag in lichterlohem Schein. Bald kamenLeute gelaufen, die den Miniaturbrand löschten undden Knaben verprügelten.
Im Erdgeschoß des Hauses befand sich eine Gastwirtschaft.Jede Nacht drang der Zecher Lärm herauf,nicht selten kam es zu einer Schlägerei, und einGestochener brüllte die schlafenden Bewohner wach.Schlimmer war für Engelhart das allwöchentlicheSchweineschlachten. Das Todesgeschrei schnitt ihmfurchtbar durch die Brust, seine Phantasie war damitbelastet, sein Denken wurde verdunkelt, und wenn dasTier unter dem letzten Messerstich ersterbend wimmerte,schlich Engelhart totenbleich in die Kleiderkammer,riß eine Schranktür auf und steckte den Kopf zwischendie hängenden Gewänder. Es war ein Glück, daßseine Eltern, kurz nachdem er fünf Jahre alt gewordenwar, in die nahegelegene Theatergasse verzogen.
In jenem Sommer heiratete die jüngste von FrauRatgebers Schwestern. Da die Hochzeit in Karlstadtstattfand, einem uralten Örtchen am Main, reistenHerr und Frau Ratgeber dorthin und nahmen Engelhartmit, während die beiden kleineren Geschwister,die dreijährige Gerda und der kaum ein Jahr alteAbel, unter der Obhut einer treuen Magd zu Hauseblieben. Es war ein düster bewölkter Tag. DerKnabe blickte mit dankbarem Gefühl auf den Vater,der, kaum daß die Fahrt begonnen hatte, ein gebratenesHuhn aus der Reisetasche nahm und mit demihm eignen seltsam verlegenen Schmunzeln verzehrte.Frau Agathe saß versonnen da, bisweilen warf sieeinen flüchtigen Blick auf die Landschaft hinaus.
Das Hotel, in dem sie zu später Nacht ankamen,war ein früheres Kloster und hatte weitgewölbteRäume. Engelhart wurde in ein entlegenes Gemachgeführt, wo vier Betten standen. Im blassen Kerzenlichtsah er mit verschlafenen Augen drei Mädchengestalten,und man erklärte ihm, daß es seine Cousinenaus Gunzenhausen seien. Die Mädchen flüsterten undlachten, endlich trat die jüngste, die schon im Hemdewar, vor ihn hin und sagte, es schicke sich nicht, daßKnaben bei den Mädchen schliefen. Er kroch in einenMauerwinkel, um sich in Eile zu entkleiden, dannsetzte sich Frau Ratgeber zu ihm an den Bettrand,es wurde noch eine Weile hin und her gesprochen,Engelhart sah einen haarumwallten Mädchenkopf, dersich über die Schulter seiner Mutter beugte, und,schon auf der Schwelle des Schlummers taumelnd,starrte er noch einmal in das übermütige Gesicht seinerjüngsten Vetterin.
Am andern Tag war die Hochzeit. Während der<