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[7]Meister Leonhard
Unbeweglich sitzt Meister Leonhard in seinem gotischen Lehnstuhl undstarrt mit weit offenen Augen gerade aus.
Der Flammenschein des lodernden Reisigfeuers in dem kleinen Herd flackertüber sein härenes Gewand, aber der Glanz kann nicht haften bleiben an derRegungslosigkeit, die Meister Leonhard umgibt, gleitet ab von dem langenweißen Bart, dem gefurchten Gesicht und den Greisenhänden, die in ihrerTotenstille mit dem Braun und Gold der geschnitzten Armlehnen wieverwachsen sind.
Meister Leonhard hält seinen Blick zum Fenster gekehrt, vor dem mannshoheSchneehügel die ruinenhafte halbversunkene Schloßkapelle umgeben, in derer sitzt, aber im Geiste sieht er hinter sich die kahlen, engen,schmucklosen Wände, die ärmliche Lagerstätte und das Kruzifix über der[8]wurmstichigen Tür – sieht den Wasserkrug, den Laib selbergebackenenBucheckernbrotes und das Messer daneben mit dem gekerbten Beingriff in derEcknische.
Er hört, wie draußen die Baumriesen krachen unter dem Frost und sieht dieEiszapfen im grellen schneidenden Mondlicht herabfunkeln von denweißbeladenen Ästen. Er sieht seinen eigenen Schatten hinaus durch denSpitzbogen des Fensters fallen und mit den Silhouetten der Tannen auf demglitzernden Schnee ein gespenstisches Spiel treiben, wenn das Feuer derKienspäne im Ofen die Hälse reckt oder sich duckt, – dann wieder sieht erihn plötzlich zusammengeschrumpft wie zu einer Bockgestalt aufschwarzblauem Thron und die Knäufe des Lehnstuhls als Teufelshörner überspitzigen Ohren.
Ein altes buckliges Weib aus dem Meiler, der stundenweit, jenseits derMoorheide tief unten im Tale liegt, humpelt mühsam durch den Wald heraufund zieht einen Handschlitten mit dürrem Holz; erschreckt glotzt sie inden blendenden Lichtschein und begreift nicht. Ihr Blick fällt auf denTeufelsschatten im Schnee – sie erfaßt nicht, wo sie ist und daß sie vorder Kapelle[9]steht, von der die Sage geht, der letzte gegen den Todgefeite Sprosse eines fluchbeladenen Geschlechtes hause darin.
Voll Entsetzen schlägt sie das Kreuz und hastet mit wankenden Knien zurückin den Wald.
Meister Leonhard folgt ihr eine Weile im Geiste auf dem Weg, den sienimmt. Er kommt an den brandschwarzen Trümmern des Schlosses vorüber, indem seine Jugend verschüttet liegt, aber es berührt ihn nicht: alles istihm Gegenwart, leidlos und klar wie ein Gebilde