Im Sonnenschein.
1.
In den höchsten Zweigen des Ahornbaums, der an der Gartenseite des Hausesstand, trieben die Stare ihr Wesen. Sonst war es still; denn es warSommernachmittag zwischen eins und zwei.
Aus der Gartentür trat einjunger Reiteroffizier in weißer festtäglicher Uniform, den kleinen dreieckigenFederhut schief auf den Kopf gedrückt, und sah nach allen Seiten in die Gängedes Gartens hinab; dann, seinen Rohrstock zierlich zwischen den Fingernschwingend, horchte er nach einem offenstehenden Fenster im oberen Stockwerkehinauf, aus dem sich in kleinen Pausen das Klirren holländischerKaffeeschälchen und die Stimmen zweier alten Herren deutlich vernehmen ließen.Der junge Mann lächelte wie jemand, dem was Liebes widerfahren soll, indem erlangsam die kleine Gartentreppe hinunterstieg. Die Muscheln, mit denen derbreite Steig bestreut war, knirschten an seinen breiten Sporen; bald aber trater behutsam auf, als wolle er nicht bemerkt sein. — Gleichwohl schien esihn nicht zu stören, als ihm aus einem Seitengange ein junger Mann inbürgerlicher Kleidung mit sauber gepuderter Frisur entgegenkam. Ein Ausdruckbrüderlichen, fast zärtlichen Vertrauens zeigte sich in beider Antlitz, als siesich schweigend die Hände reichten. »Der Syndikus ist droben; die altenHerren sitzen am Tokadilletisch,« sagte der junge Bürger, indem er einestarke goldene Uhr hervorzog, »Ihr habt zwei volle Stunden! Geh nur, dukannst rechnen helfen.« Er zeigte bei diesen Worten den Steig entlangnach einem hölzernen Lusthäuschen, das auf Pfählen über den unterhalb desGartens vorüberströmenden Fluß hinausgebaut war.
»Ich danke dir, Fritz. Du kommst doch zu uns?«
Der Angeredete schüttelte den Kopf. »Wir habenPosttag!« sagte er und ging dem Hause zu. Der junge Offizierhatte den Hut in die Hand genommen und ließ, während erden Steig hinabging, die Sonne frei auf seine hohe Stirn und seineschwarzen ungepuderten Haare scheinen. So hatte er bald denSchatten des kleinen Pavillons, der gegen Morgen lag, erreicht.
Die eine Flügeltür stand offen; er trat vorsichtig aufdie Schwelle. Aber die Jalousien schienen von allen Seitengeschlossen; es war so dämmerig drinnen, daß seine nocheben des vollen Sonnenlichts gewöhnten Augen erst nach einerganzen Weile die jugendliche Gestalt eines Mädchensaufzufassen vermochten, die inmitten des Zimmers an einemMarmortischchen sitzend, Zahl um Zahl mit sicherer Hand in einenvor ihr liegenden Folianten eintrug. Der junge Offizier blickteverhaltenen Atems auf das gepuderte Köpfchen, das überden Blättern schwebend, wie von dem Zuge der Feder, harmonischhin und wieder bewegt wurde. Dann, als einige Zeitvorübergegangen, zog er seinen Degen eine Hand breit aus derScheide und ließ ihn mit einem Stoß zurückfallen,daß es einen leichten Klang gab. Ein Lächeln trat um denMund des Mädchens, und die dunkeln Augenwimpern hoben sich einWeniges von den Wangen empor; dann aber, als hätte sie sichbesonnen, streifte sie nur den Ärmel der amarantfarbenenKontusche zurück und tauchte aufs neue die Feder ein.
Der Offizier, da sie immer nicht aufblickte, tat einen Schrittins Zimmer und zog ihr schweigend die Feder durch die Finger,daß die Tinte auf den Nägeln blieb.