GRAZER STUDIEN

ZUR

DEUTSCHEN PHILOLOGIE

HERAUSGEGEBEN

VON

ANTON E. SCHÖNBACH UND BERNHARD SEUFFERT.

Signet

GRAZ.

K. K. UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI UND VERLAGS-BUCHHANDLUNG ‚STYRIA‘.

1899.

K. K. UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI ‚STYRIA‘ IN GRAZ.

LUDWIG TIECKS GENOVEVA.

ALS

ROMANTISCHE DICHTUNG

BETRACHTET

VON

DR. JOHANN RANFTL.


[S. v]

Vorwort.

Der Romantiker Ludwig Tieck ist eine bedeutende, einflussreiche undinteressante Persönlichkeit. Zu den allerersten, bahnbrechenden undführenden Geistern unserer Literatur gehört er jedoch nicht. Es magdaher keineswegs für jedermann selbstverständlich sein, dass man übereine einzelne Dichtung dieses Mannes ein kleines Buch schreibt. Auchmir schien es nicht selbstverständlich, bevor ich mich eingehender mitder Entstehung wie mit dem geistigen und künstlerischen Charakter der„Genoveva“ befasste. Bei näherer Betrachtung fällt sogleich auf, dassTieck selbst gerade diesem romantischen Drama eine besonders wichtigeStelle in seinem geistigen Entwickelungsgange anweist, es mit Nachdruckals „Epoche“ in seinem Leben bezeichnet. In seinen späteren Jahren, alsihm der altdeutsch-religiöse Enthusiasmus der „Genoveva“ längst fremdgeworden war, kommt er mit einer gewissen Liebe und Zärtlichkeit geradeauf dieses Gedicht immer wieder zurück, das nach seiner Versicherungganz aus seinem Gemüthe gekommen, das „gar nicht gemacht, sonderngeworden sei“.

Auch im großen Leben unserer Literatur gieng Tiecks „Genoveva“ nichtspurlos und unbemerkt vorüber. Goethe und Schiller und viele Kleinere,die Theilnahme für geistige Erscheinungen empfanden, nahmen Stellung zudem Werke. Es machte den ästhetischen Gesinnungsverwandten Tiecks jenenerfreulichen Eindruck, den der Dichter gewünscht hatte, es war denechten Aufklärern ein Stein des Anstoßes, da sie es als Symptom einermächtig anwachsenden, ihnen feindlichen, geistigen und literarischenStrömung ansehen mussten, und als Sammelpunkt des romantischen Geisteserweckt es heute das lebhafte Interesse des Literarhistorikersund erwirbt sich das Anrecht auf eine monographische Betrachtung.Vielleicht ist Tiecks[S. vi] „Octavianus“ ein noch vollständigerer „orbispictus“ der Romantik als die „Genoveva“, dafür setzt aber diesesWerk mit weniger Klügelei, unmittelbarer und frischer der erstenBegeisterung entströmend dasjenige in dichterische Gestalt um, wasum 1800 die Gemüther der älteren Romantiker erfüllte. Was hier wievon selbst dem Dichter aus der Seele quoll, wird im „Octavianus“ nurbewusst erweitert und gesteigert. Darum blieb ich lieber bei der„Genoveva“, um an diesem typischen Beispiele zu zeigen, wie damals einromantisches Kunstwerk entstand, mit welchen künstlerischen Mitteln derRomantiker seine Theorie dichterisch verwirklichte, und welche Stellungein solches Werk in unserer Literatur-Entwickelung einnimmt.

Mehrere Forscher, vor allem Haym, haben mit Sorgfalt und Scharfsinndie schwere Aufgabe übernommen, aus de

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