CASANOVAS HEIMFAHRT

NOVELLE
VON

ARTHUR SCHNITZLER

1918

S. FISCHER • VERLAG
BERLIN


CASANOVAS HEIMFAHRT

In seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahre, alsCasanova längst nicht mehr von der Abenteuerlustder Jugend, sondern von der Ruhelosigkeit nahendenAlters durch die Welt gejagt wurde, fühlte er inseiner Seele das Heimweh nach seiner VaterstadtVenedig so heftig anwachsen, daß er sie, gleich einemVogel, der aus luftigen Höhen zum Sterben allmählichnach abwärts steigt, in eng und immer engerwerdenden Kreisen zu umziehen begann. Öfter schonin den letzten zehn Jahren seiner Verbannung hatteer an den hohen Rat Gesuche gerichtet, man mögeihm die Heimkehr gestatten; doch hatten ihm früherbei der Abfassung solcher Satzschriften, in denen erMeister war, Trotz und Eigensinn, manchmal auchein grimmiges Vergnügen an der Arbeit selbst dieFeder geführt, so schien sich seit einiger Zeit in seinenfast demütig flehenden Worten ein schmerzlichesSehnen und echte Reue immer unverkennbarer auszusprechen.Er glaubte um so sicherer auf Erhörungrechnen zu dürfen, als die Sünden seiner früherenJahre, unter denen übrigens nicht Zuchtlosigkeit,Händelsucht und Betrügereien meist lustigerNatur, sondern Freigeisterei den Venezianer Ratsherrendie unverzeihlichste dünkte, allmählich in Vergessenheitzu geraten begannen und die Geschichte seinerwunderbaren Flucht aus den Bleikammern von Venedig,die er unzählige Male an regierenden Höfen,in adeligen Schlössern, an bürgerlichen Tischen undin übelberüchtigten Häusern zum besten gegebenhatte, jede andere Nachrede, die sich an seinen Namenknüpfte, zu übertönen anfing; und eben wieder,in Briefen nach Mantua, wo er sich seit zwei Monatenaufhielt, hatten hochmögende Herren dem aninnerm wie an äußerm Glanz langsam verlöschendenAbenteurer Hoffnung gemacht, daß sich seinSchicksal binnen kurzem günstig entscheiden würde.

Da seine Geldmittel recht spärlich geworden waren,hatte Casanova beschlossen, in dem bescheidenen,aber anständigen Gasthof, den er schon in glücklicherenJahren einmal bewohnt hatte, das Eintreffender Begnadigung abzuwarten, und er vertrieb sichindes die Zeit – ungeistigerer Zerstreuungen nichtzu gedenken, auf die gänzlich zu verzichten er nichtimstande war – hauptsächlich mit Abfassung einerStreitschrift gegen den Lästerer Voltaire, durch derenVeröffentlichung er seine Stellung und sein Ansehenin Venedig gleich nach seiner Wiederkehr bei allenGutgesinnten in unzerstörbarer Weise zu befestigengedachte.

Eines Morgens auf einem Spaziergang außerhalbder Stadt, während er für einen vernichtenden, gegenden gottlosen Franzosen gerichteten Satz dieletzte Abrundung zu finden sich mühte, befiel ihnplötzlich eine außerordentliche, fast körperlich peinvolleUnruhe; das Leben, das er in leidiger Gewöhnungnun schon durch drei Monate führte: dieMorgenwanderungen vor dem Tor ins Land hinaus,die kleinen Spielabende bei dem angeblichen BaronPerotti und dessen blattern

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