Anmerkungen zur Transkription:

Der Text stammt aus: Das Land Goethes 1914–1916. Einvaterländisches Gedenkbuch. Herausgegeben vom Berliner Goethebund. Stuttgartund Berlin: Deutsche Verlangs-Anstalt 1916. S. 37–38.

Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurdenübernommen.

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Vergänglichkeit

Vor einiger Zeit machte ich in Gesellschaft eines schweigsamen Freundes und eines jungen, bereitsrühmlich bekannten Dichters einen Spaziergang durch eine blühende Sommerlandschaft. Der Dichterbewunderte die Schönheit der Natur um uns, aber ohne sich ihrer zu erfreuen. Ihn störte der Gedanke,daß all diese Schönheit dem Vergehen geweiht war, daß sie im Winter dahingeschwunden sein werde,aber ebenso jede menschliche Schönheit und alles Schöne und Edle, was Menschen geschaffen haben undschaffen könnten. Alles, was er sonst geliebt und bewundert hätte, schien ihm entwertet durch das Schicksalder Vergänglichkeit, zu dem es bestimmt war.

Wir wissen, daß von solcher Versenkung in die Hinfälligkeit alles Schönen und Vollkommenen zweiverschiedene seelische Regungen ausgehen können. Die eine führt zu dem schmerzlichen Weltüberdruß desjungen Dichters, die andere zur Auflehnung gegen die behauptete Tatsächlichkeit. Nein, es ist unmöglich,daß all diese Herrlichkeiten der Natur und der Kunst, unserer Empfindungswelt und der Welt draußen,wirklich in Nichts zergehen sollten. Es wäre zu unsinnig, und zu frevelhaft daran zu glauben. Sie müssenin irgend einer Weise fortbestehen können, allen zerstörenden Einflüssen entrückt.

Allein diese Ewigkeitsforderung ist zu deutlich ein Erfolg unseres Wunschlebens, als daß sie auf einenRealitätswert Anspruch erheben könnte. Auch das Schmerzliche kann wahr sein. Ich konnte mich wederentschließen, die allgemeine Vergänglichkeit zu bestreiten, noch für das Schöne und Vollkommene eineAusnahme zu erzwingen. Aber ich bestritt dem pessimistischen Dichter, daß die Vergänglichkeit des Schöneneine Entwertung desselben mit sich bringe.

Im Gegenteil, eine Wertsteigerung! Der Vergänglichkeitswert ist ein Seltenheitswert in der Zeit.Die Beschränkung in der Möglichkeit des Genusses erhöht dessen Kostbarkeit. Ich erklärte es für unverständlich,wie der Gedanke an die Vergänglichkeit des Schönen uns die Freude an demselben trüben sollte.Was die Schönheit der Natur betrifft, so kommt sie nach jeder Zerstörung durch den Winter im nächstenJahre wieder, und diese Wiederkehr darf im Verhältnis zu unserer Lebensdauer als eine ewige bezeichnetwerden. Die Schönheit des menschlichen Körpers und Angesichts sehen wir innerhalb unseres eigenenLebens für immer schwinden, aber diese Kurzlebigkeit fügt zu ihren Reizen einen neuen hinzu. Wennes eine Blume giebt, welche nur eine einzige Nacht blüht, so erscheint uns ihre Blüte darum nicht minderprächtig. Wie die Schönheit und Vollkommenheit des Kunstwerks und der intellektuellen Leistung durchderen zeitliche Beschränkung entwertet werden sollte, vermochte ich ebensowenig einzusehen. Mag eineZeit kommen, wenn die Bilder und Statuen, die wir heute bewundern, zerfallen sind, oder ein Menschengeschlechtnach uns, welches die Werke unserer Dichter und Denker nicht mehr versteht, oder selbst einegeologische Epoche, in der alles Lebende auf der Erde verstummt ist, der Wert all dieses Schönen undVollkommenen wird nur durch seine Bedeutung für unser Empfindungsleben bestimmt, braucht dieses selbstnicht zu überdauern und ist darum von der absoluten Zeitdauer unabhängig.

Ich hielt diese Erwägungen für unanfechtbar, bemerkte aber, daß ich dem Dichter und dem Freundekeinen Eindruck gemacht hatte. Ich schloß aus diesem Mißerfolg auf die Einmengung eines starkenaffektiven Moments, welches ihr Urteil trübte, und glaubte dies auch später gefunden zu ha

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