DIESES BUCH WURDE GEDRUCKT
IN DER OFFIZIN W. DRUGULIN
LEIPZIG
RICHARD SCHAUKAL
EINE NOVELLE
INSEL-VERLAG LEIPZIG 1904
Einmal im Herbste, kurz vor Beginn desdritten Semesters, war er zu einem kleinenSouper geladen. Die Leute standen ihm fern.Er ging ohne Interesse hin, fast mit Bedauern.Wie immer kam er zu spät ... Damals lernteHeinrich Mimi Lynx kennen. Ihre Stirne warbleich wie Citroneis, ihre Brauen rund unddumm wie bei einem Baby. Ihre Augen, voneinem wechselnden Braun-Grün, schimmertenunter müden breiten Lidern. Ebenso müde wardie Unterlippe. Aber die Oberlippe und die vielzu starken Zähne lachten. Und um die kurze steileMopsnase mit den heftig vibrierenden sinnlichenFlügeln spielte etwas wie Hohn. Das Haar wardicht, dunkelblond. Gewaltsam mit dem Kammeaus der Stirne nach dem Scheitel gezerrt, stand eshalbmondförmig über den schmalen Schläfenund lastete mit einem dicken Knoten in demsehr schlanken mädchenhaften Nacken. Ihre Bewegungengeschahen ruckweise, sie stiess dieArme aus den Schultergelenken heraus, dieHand gab sie breit wie eine Engländerin undgrüsste dabei mit einem kurzen Zucken desKopfes über der weichen und immer etwasherausfordernd gehobenen Büste. Die Armekreuzte sie gerne, und ihre Füsse in den ausgeschnittenenLackschuhen erinnerten wiederan ein Baby. Sie war zweiundzwanzig Jahrealt, drei Jahre verheiratet und hatte ein kleinesMäderl, das ihr gar nicht ähnlich sah und demsie immer wie einem ganz merkwürdigen, nichtsehr appetitlichen Dinge entgegenkam. Sieliebte schwermütige Musik, frisches saftigesObst und Ananaskonfekt. Auf der Strasse gingsie stets ohne Schirm, beide Hände im Muffoder in den Taschen der kurzen Jacke, lächelndund neugierig ... Sie gefiel ihm. Er war ihrmit geröteten Wangen genaht, was vom schnellenGehen, von der Herbstkälte und von Befangenheitgleicherweise herrührte. Sie war auchverlegen, sagte einige Worte, suchte nacheiner Pointe und lächelte. Ihr Lächeln war ansteckend.
Gabriele d'Aunay, die Hausfrau, machte sich angenehmbemerkbar. Sie sagte zu ihm: »Warumhaben Sie mir eigentlich nicht Ihr Buch gewidmet?«Und zu Mimi: »Er hat wunderhübscheAugen, nicht wahr?« Sie setzte rechts nebensich einen ältlichen Rittmeister, der eine enormeGlatze und einen dicken schwarzen Schnurrbarthatte, und zur Linken placierte sie einen ganzschmalen kleinen Bezirkskommissär, der von Zeitzu Zeit einen sehr feinen Witz fallen liess,immer an Gustav Lynx vorbei, der ihn beharrlichmissverstand. Gustav Lynx, Mimis Gatte,trug den linken Arm in der Binde; er war mitdem Pferde gestürzt. Mimi gegenüber lehntedie schwarze hindufarbige Helene Kortmann,geborene Gräfin Tuff, eine junge Witwe, undblickte mit Augen von zartestem Himmelblauden kurzsichtigen Hausherrn an, der, zwischenzwei zu unterhaltenden Damen, verbindlich andem blassrosa Lachsstück auf seinem Tellerherumstocherte. Mimi Lynx war HeinrichsTischnachbarin.
Heinrich sprach gleich anfangs viel und sehrleise. Er neigte sich beim Sprechen mit seinemrechts gescheitelten dunkeln, vollen Haare zuihr hin und zerknüllte eine Semmel, wie es seineschlechte Gewohnheit war. Er erzählte derblassen, lächelnden Mimi, die sehr lange, wunderbardünne Nägel an den unruhigen Fingern hatte,von seinem Innenleben. Er entschuldigte sich,dass er über sich spreche. Aber dessenungeachtetredete er weiter. Seine Stimme war schmeichelndund h