Brennendes Geheimnis

Erzählung

von

Stefan Zweig

Im Insel-Verlag zu Leipzig

16.–25. Tausend
 

Der Partner

Die Lokomotive schrie heiser auf: der Semmering war erreicht.Eine Minute rasteten die schwarzen Wagen im silbrigen Lichtder Höhe, warfen paar bunte Menschen aus, schluckten andere ein,Stimmen gingen geärgert hin und her, dann schrie vorne wieder dieheisere Maschine und riß die schwarze Kette rasselnd in die Höhledes Tunnels hinab. Rein ausgespannt, mit klaren, vom nassen Windreingefegten Hintergründen lag wieder die hingebreitete Landschaft.

Einer der Angekommenen, jung, durch gute Kleidung und eine natürlicheElastizität des Schrittes sympathisch auffallend, nahm denandern rasch voraus einen Fiaker zum Hotel. Ohne Hast trapptendie Pferde den ansteigenden Weg. Es lag Frühling in der Luft.Jene weißen, unruhigen Wolken flatterten am Himmel, die nur derMai und der Juni hat, jene weißen, selbst noch jungen und flattrigenGesellen, die spielend über die blaue Bahn rennen, um sichplötzlich hinter hohen Bergen zu verstecken, die sich umarmen undfliehen, sich bald wie Taschentücher zerknüllen, bald in Streifen zerfasernund schließlich im Schabernack den Bergen weiße Mützenaufsetzen. Unruhe war auch oben im Wind, der die mageren, nochvom Regen feuchten Bäume so unbändig schüttelte, daß sie leise inden Gelenken krachten und tausend Tropfen wie Funken von sichwegsprühten. Manchmal schien auch Duft von Schnee kühl aus denBergen herüberzukommen, dann spürte man im Atem etwas, dassüß und scharf war zugleich. Alles in Luft und Erde war Bewegungund gärende Ungeduld. Leise schnaubend liefen die Pferde den jetztniedersteigenden Weg, die Schellen klirrten ihnen weit voraus.

Im Hotel war der erste Weg des jungen Mannes zu der Liste deranwesenden Gäste, die er – bald enttäuscht – durchflog. „Wozu binich eigentlich hier“, begann es unruhig in ihm zu fragen. „Allein hier auf dem Berg zu sein, ohne Gesellschaft, ist ärger als das Bureau.Offenbar bin ich zu früh gekommen oder zu spät. Ich habe nie Glückmit meinem Urlaub. Keinen einzigen bekannten Namen finde ichunter all den Leuten. Wenn wenigstens ein paar Frauen da wären,irgendein kleiner, im Notfall sogar argloser Flirt, um diese Wochenicht gar zu trostlos zu verbringen.“ Der junge Mann, ein Baronvon nicht sehr klangvollem österreichischen Beamtenadel, in derStatthalterei angestellt, hatte sich diesen kleinen Urlaub ohne jeglichesBedürfnis genommen, eigentlich nur, weil sich alle seine Kollegeneine Frühjahrswoche durchgesetzt hatten und er die seine demDienst nicht schenken wollte. Er war, obwohl innerer Befähigungnicht entbehrend, eine durchaus gesellschaftliche Natur, als solchebeliebt, in allen Kreisen gern gesehen und sich seiner Unfähigkeit zurEinsamkeit voll bewußt. In ihm war keine Neigung, sich selberallein gegenüberzustehen, und er vermied möglichst diese Begegnungen,weil er intimere Bekanntschaft mit sich selbst gar nichtwollte. Er wußte, daß er die Reibfläche von Menschen brauchte, umseine Talente, die Wärme und den Übermut seines Herzens aufflammenzu lassen, und er allein frostig und sich selber nutzlos war,wie ein Zündholz in der Schachtel.

Verstimmt ging er in der leeren Hall auf und ab, bald unschlüssigin den Zeitungen blätternd, bald wieder im Musikzimmer am Klaviereinen Walzer antastend, bei dem ihm aber der Rhythmus nichtrecht in die Finger sprang. Schließlich setzte er sich verdrossen hin,sah hinaus, wie das Dunkel langsam niederfiel, der Nebel als Dampfgrau aus den Fichten brach. Eine Stunde zerbröselte er so, nutzlosund nervös. Dann flüchtete er in den Speisesaal.

Dort waren erst ein paa

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