Cover

Wallenstein
Roman
von
Alfred Döblin

Zweiter Band

1920
S. Fischer/Verlag/Berlin

Erste bis dritte Auflage
Alle Rechte vorbehalten, besonders das der Übersetzung
Copyright 1920 S. Fischer, Verlag

Viertes Buch
Kollegialtag zu Regensburg

Durch die beiden Kristallfenster der schönen und reichenKapelle zu München in der Residenz schien die rote Wintersonne.Das schmale Gewölbe, weißer polierter Gips, nahmpurpurne Flecken und Linien an, als würde es angehaucht.Über dem Pflaster von Jaspis und Achat auf Kniestühlender bayrische Hof, spanische Kostüme, gesenkte Schultern,niedergedrückte Köpfe, grauhaarig, weiße Perücken, dunklegezügelte Locken. Auf der Kanzel zur Linken des großenSilberaltars mit den Reliquien und dem reitenden RitterGeorg — golden, drei Federbüsche am Helm mit Diamanten,Rubinen, Smaragden — sprach in schwarzem geschlossenenJesuitenrock ein langer glutäugiger Priester; seine Arme fuhren,ohne daß sie es sahen, über sie weg in der drohenden Erregung:

„Es ist eher erlaubt, Gott zu hassen als zu lieben. DennGott steht uns zu fern, zu hoch; es ist eine Sünde, sich ihm zunahen, selbst in Gedanken. Zu wagen, ihn zu lieben, wie diesesund jenes aus dem Alltag, ihn behängen mit Putz Juwelenund Gold, ihm zarte Gefühle darzubringen: das heißt, ihnerniedrigen. Es ist das Vergehen einer Beleidigung der Göttlichkeit.Kriechen vor ihm, ihm ausweichen, ja ihm grollen:das mag einem Menschen gut anstehen. Ihr habt schon Gottverleugnet in dem Augenblick, wo ihr ihn nicht fürchtet.Er hat euch keine Freundlichkeit gegen sich erlaubt, ist nichteuer Vater, eure Mutter, euer Buhle, euer Herzensbruder.Er ist nicht einmal euer König und Fürst, er lehnt es ab,euer Richter zu sein; sein Gericht ist euch nicht zugänglich;er vollzieht es, wann er will und gegen wen er will. Es läßtsich nicht fassen und erforschen, wer er ist, und darum heißtes nur, Grauen vor ihm empfinden — und so habt ihr getan,was Menschenpflicht ist.

Wehe denen, die glauben, Gott sei unser Vater; es ist fastkein weiterer Schritt nötig, um Ketzerei zu üben. Es heißt:ihr sollt den Sonntag heiligen, um Gottes willen; und Gottselber wollt ihr nicht heiligen? Vergeßt nicht, wer ihr seid,von wo ihr stammt. Wißt ihr, wie die Erbsünde euer Lebeneingeleitet hat? Kennt ihr alle Laster, mit denen ihr euchseit jenem Tage schleppt — Glückstag oder Unglückstag?Seht die Niedrigkeit der Menschen, die Erbärmlichkeit ihrerBegierden — und ihr Gotteskinder! Seht euren Tag an,gefüllt mit Arbeit, Sättigen des Leibes, mit hundertfachemVerdruß, hundertfachem Vergnügen, hingeweht das Ganze,von nicht mehr Gewicht als ein Farbenantlitz. Prozesse imLand, Mißgunst, Drang nach Reichtum,

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