Kasimir Edschmid:

WINTER
TAGE.

Für Lisl Steinbrück.

Was machte, Gott, diesen Winter so groß, daß ich nochunter dem Fluch der hellen Monate meine Düsterheitschwerer empfindend, entfernt von ihm, dampfend stehe vorAbenteuer, geladen von Lüsten? Wo begann es? Kann es einen Beginngehabt haben? Ich weiß es nicht. War es Anfang, als ich dieLeopoldstraße hinabging, die Ballone der Lampen verkündenddurch messinggrauen Himmel schwangen, die Pappeln hoch dieZeile hinunterrauschten und die Stadt München unter rötlichemHorizont abendlich aufging, aus dem unendlicher Schneefallsank? Hat Glück einen Anfang zeitlich erkennbar oder steht esnur, genossen, eine große Wolke plötzlich hinter uns? Lichterhingen dumpf zwischen den steilen Bäumen. Bahnen summtengedämpft. Seidenweich ward der Himmel und grau.

Wildgeruch von Frauen lag in den Strassen. Dunst der unbegrenztenMöglichkeiten war ausgebreitet. Häuser stauntenfremd mit lockender Fassade. Gärten hatten Außergewöhnlicheshinter Baum und Weg. Jedes Ding trug das äußere Wesennur als Maske. Aufreizend wühlte das Herz sich in die Dinge.Frauen liefen lautlos mit warmen Augen. Schlittenschellenklangen entfernt und verwirrten das Ohr. Der weiche Schneetrieb alles verwischend in Vertauschung und unwirklicheBewegtheit.

Da begannen die des Morgens heftig aufgenommenen Bildersich der Buntheit der Straße zu vermischen. In die springendenLichter unter dem schneienden Gitter, das Gebrause der Wagen,die unendlich schweigende Musik des gelassenen Himmels, diedunkelen Schatten der Menschen, die groß die Stege überschwammen,drehten sich in dem Rundlauf der Wirklichkeitschon entrissener Eindrücke: Grecos Entkleidung Christi, Sturmgleich Raketen aufwärts schießender Gesichter, und in derGarbe ihrer Entladung wie Maden erstarrte Angesichte derFrauen . . . und Memlings sieben Freuden Mariä: blaue beseelteTäler, Streiter wohlgemut, aufbrechende Sterne, Mord, Verklärung,Reitende nach der Welt, runder Hügel, auf dem imKreis Knieende gegen den Horizont beten. War dies der Beginn?,. . . mein Gott.

Tags darauf fuhren wir ins Land, einen Kessel, wie Strahlenumzuckt von Gebirg. Flammend bog die Sonne, rot wie Stierblut,über die Grate. Pfeile stießen die Spitzen ins Blau, es wieein Meer teilend, das zurückrann. Beilhiebe weißer Abhängelagen zischend in der Luft. Hinter den Häusern war die Ebenehell mit dem dunklen Gefleck vorgeschobener Heuschober.In amethystenem Kristall stieg der Himmel ziellos.

Abends setzten wir Fripouille in den Kronleuchter. Es wareine weiße schöne Frau gekommen, hell, daß die Adern herausschimmerten,mit silberblondem Haar. Sie lag neben FrauSuzanne ausgestreckt auf dem Diwan, deren Gesicht, spaniolischenBluts und südfranzösischer Landschaft, schwer, dunkelund wild war. Zwei verschiedenere Frauen gab es nie. Sieschauten in die Höhe, ruhig und träumerisch, wo der Plafondsich zum Fenster neigte, hinter dem Feuer auf die Berge regneteim vollen Abend.

Ich knipse den Leuchter auf, daß zwanzig runde Kugeln desunteren Kranzes rotes Licht in die Bernsteinaugen Fripouillesschleudern. Es ist still. Fripouille öffnet das rosa Maul, fauchtund beißt in das Glas. Sein Angoraschwanz, dick wie ein Arm,sträubt sich. Er wirft entsetzt den Kopf nach oben. Da lasseich die große Glühlampe über ihm aufbrechen, gelbes undbetäubendes Licht. Der große Leuchter schwingt entsetzt indie Dämmerung. Kugeln rollen bestürzt fallend durch dasZimmer. Fripouille rennt Karussell durch den Raum. Esist still.

...

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