Anmerkungen zur Transkription:
Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.
Der Deutsche Krieg
Politische Flugschriften
Herausgegeben von
Ernst Jäckh
Achtes Heft
Deutsche Verlags-Anstalt
Stuttgart und Berlin 1914
Von
Dr. Rudolf Eucken
Professor an der Universität Jena
Deutsche Verlags-Anstalt
Stuttgart und Berlin 1914
Alle Rechte vorbehalten
Druck der
Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart
Papier von der Papierfabrik Salach
in Salach, Württemberg
Wir alle wissen, daß wir uns heute in einem Riesenkampfum unsere Existenz befinden, und wir wissen auch,daß dabei sehr unwürdige Mittel seitens unserer Feinde angewandtwerden. Eins dieser unwürdigen Mittel ist dieHerabsetzung des deutschen Wesens, die Verleumdung, wirwären ein reaktionäres Volk, wir wären Gegner der Freiheitund Knechte eines drückenden Militarismus, der die ganzeWelt unterwerfen wolle. So scheint es, als könne Deutschlandund deutsches Wesen ohne Schaden für die Menschheit ausgerottetwerden. Gegenüber solcher Anfeindung müssen wir unsauf uns selbst besinnen, es gilt klarzumachen, daß wir mehr sind,als jene meinen, daß wir eine weltgeschichtliche Bedeutung haben,die uns aller Neid und Haß der Feinde nicht rauben kann.
Um diese weltgeschichtliche Bedeutung der deutschen Artzu ermitteln, müssen wir zunächst überhaupt ihre Eigentümlichkeituntersuchen; diese Eigentümlichkeit ist aber nicht ganz einfachund leicht zu fassen. Denken wir nur an das 19. Jahrhundertund seinen Verlauf. Wie hat sich scheinbar das Wesen derDeutschen in ihm verändert! Ja, es mag auf den ersten Anblickscheinen, als enthielte unser Wesen einen Widerspruch,einen Widerspruch, dessen Schroffheit alle wahrhaftige Größehindern müßte.
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hießen wir das Volkder Dichter und Denker, damals hat man uns wohl die InderEuropas genannt. Heute sind wir das Volk der Techniker,[6]des welterobernden Handels, der großartigen Industrie, heutehat man uns wohl die Amerikaner Europas genannt. Inderund Amerikaner, das sind gewaltige Gegensätze. – In der Tatwaren wir zu Anfang des 19. Jahrhunderts ein Volk, das inLiteratur und Philosophie den Kern der geistigen Arbeit fand.Wir flüchteten uns damals aus der sichtbaren Welt in einunsichtbares Reich des Gedankens und der Phantasie, dieseunsichtbare Welt wurde uns zur vertrauten Heimat.
Aber daß das so kam, das hatte besondere Gründe. DerDreißigjährige Krieg hatte uns bis aufs