Produced by Gunther Olesch
This text has been derived from HTML files at "Projekt Gutenberg - DE"(http://www.gutenberg2000.de/spyri/heidi2/heidi2.htm), prepared byGerd Bouillon.
Johanna Spyri
Heidi kann brauchen, was es gelernt hat
Inhalt
Reisezurüstungen
Ein Gast auf der Alm
Eine Vergeltung
Der Winter im Dörfli
Der Winter dauert fort
Die fernen Freunde regen sich
Wie es auf der Alp weitergeht
Es geschieht, was keiner erwartet hat
Es wird Abschied genommen, aber auf Wiedersehen
Reisezurüstungen
Der freundliche Herr Doktor, der den Entscheid gegeben hatte, daßdas Kind Heidi wieder in seine Heimat zurückgebracht werden sollte,ging eben durch die breite Straße dem Hause Sesemann zu. Es war einsonniger Septembermorgen, so licht und lieblich, daß man hätte denkenkönnen, alle Menschen müßten sich darüber freuen. Aber der Herr Doktorschaute auf die weißen Steine zu seinen Füßen, so daß er den blauenHimmel über sich nicht einmal bemerken konnte. Es lag eine Traurigkeitauf seinem Gesichte, die man vorher nie da gesehen hatte, und seineHaare waren viel grauer geworden seit dem Frühjahr. Der Doktor hatteeine einzige Tochter gehabt, mit der er seit dem Tode seiner Frau sehrnahe zusammen gelebt hatte und die seine ganze Freude gewesen war. Voreinigen Monaten war ihm das blühende Mädchen durch den Tod entrissenworden. Seither sah man den Herrn Doktor nie mehr so recht fröhlich,wie er vorher fast immer gewesen war.
Auf den Zug an der Hausglocke öffnete Sebastian mit großerZuvorkommenheit die Eingangstür und machte gleich alle Bewegungeneines ergebenen Dieners; denn der Herr Doktor war nicht nur dererste Freund des Hausherrn und dessen Töchterchen, durch seineFreundlichkeit hatte er sich, wie überall, die sämtlichen Hausbewohnerzu guten Freunden gemacht.
»Alles beim alten, Sebastian?« fragte der Herr Doktor wie gewohnt mitfreundlicher Stimme und ging die Treppe hinauf, gefolgt von Sebastian,der nicht aufhörte, allerlei Zeichen der Ergebenheit zu machen,obschon der Herr Doktor sie eigentlich nicht sehen konnte, denn erkehrte dem Nachfolgenden den Rücken.
»Gut, daß du kommst, Doktor«, rief Herr Sesemann dem Eintretendenentgegen. »Wir müssen durchaus noch einmal die Schweizerreisebesprechen, ich muß von dir hören, ob du unter allen Umständen beideinem Ausspruche bleibst, auch nachdem nun bei Klärchen entschiedenein besserer Zustand eingetreten ist.«
»Mein lieber Sesemann, wie kommst du mir denn vor?« entgegnete derAngekommene, indem er sich zu seinem Freunde hinsetzte. »Ich möchtewirklich wünschen, daß deine Mutter hier wäre; mit der wird allesgleich klar und einfach und kommt ins rechte Geleise. Mit dir aber istja kein Fertigwerden. Du lässest mich heute zum dritten Male zu dirkommen, damit ich dir immer noch einmal dasselbe sage. -
»Ja, du hast recht, die Sache muß dich ungeduldig machen, aber du mußtdoch begreifen, lieber Freund« - und Herr Sesemann legte seine Handwie bittend auf die Schulter seines Freundes -, »es wird mir gar zuschwer, dem Kinde zu versagen, was ich ihm so bestimmt versprochenhatte und worauf es sich nun monatelang Tag und Nacht gefreut hat.Auch diese letzte schlimme Zeit hat das Kind so geduldig ertragen,immer in der Hoffnung, daß die Schweizerreise nahe sei und daß esseine Freundin Heidi auf der Alp besuchen könne; und nun soll ichdem guten Kinde, das ja sonst schon so vieles ent