Der geistliche Tod

Roman
von
Emil Marriot

Zehnte Auflage

Berlin
G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung
1907

Übersetzungsrecht und alle anderen Rechte vorbehalten.

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.

Der geistliche Tod

Erstes Kapitel

Abend war es, ein schöner, warmer Sommerabend. Überden Feldpfad, der vom Bahnhof in das Dorf führte,schritt ein junger Mann. Ein großer schwarzer Neufundländerfolgte ihm auf dem Fuße. Der Ankömmlingstand still, entblößte das Haupt und strich sich dasfeuchte Haar aus der Stirn. Dabei tat er einen tiefenAtemzug und ließ den Blick über das vor ihm liegendeDorf schweifen ... Das also war seine neue Heimat!

Still und friedlich lag der Ort da, die Kirchtürmeragten zwischen den Häusern hervor und rings umher erhobensich grüne Hügel und felsige oder bewaldete Berge.Die Glocken läuteten zum Abendgebet; in den Wiesen zirptenGrillen, aus den Laubwerken leuchteten Johanniskäfer aufund am Himmel zeigten sich die ersten Sterne. Das warseine neue Heimat! Ein Gefühl der Rührung, der Bangigkeit,fast der Liebe durchzog seine Brust; er wollte sichhier recht glücklich fühlen, sich recht innig schließen an dieseschöne Natur und auch an die Menschen, falls sie sichdessen wert zeigen sollten. Von diesen Gedanken beseelt,setzte er seinen Weg fort; der Hund ging dicht hinter ihm.

Sie kamen bei den ersten Häusern an. Meistenswaren es einstöckige Häuser mit weiß getünchten Wändenund Schindeldächern, grün oder gelb angestrichenen Jalousienund Haustoren; viele hatten an der Gassenfronte einenBalkon und neben manchen lag Holz aufgespeichert; aneinigen rankten sich wilder Wein und Efeu empor undauf den Veranden standen Blumentöpfe. Der Wanderererreichte den Hauptplatz; in der Mitte des Platzes standeine Säule und auf derselben ein heiliger Florian, dereinen Kübel Wasser über ein brennendes Häuslein ausgoß.An den Häusern, in allen Ecken waren Heiligenbilderoder Heiligenstatuen angebracht; kein Wunder: lag dochdas Dorf St. Jakob im Norden des glaubensstarkenLandes Tirol.

Die Dorfbewohner schliefen schon oder saßen in denWirtshäusern.

Ohne jemandem zu begegnen, langten Herr und Hundbei der Kirche an, und diese war das Ziel ihrer Wanderung;neben der Kirche stand der Pfarrhof, und dorthingehörte der Ankömmling von dieser Stunde an.

Den Plan, auf dem die Kirche und rechts davonder Pfarrhof standen, friedete ein schwarzes Gitter ein.Die beiden Gebäude waren höher gelegen als die übrigenHäuser und ragten einsam hervor, gleichsam, um anzuzeigen,daß sie einen höheren, von den Alltagsinteressen der Dorfbewohnerstreng geschiedenen Zweck zu erfüllen hätten. DieKirche machte, wie alle Dorfkirchen, einen friedlichen Eindruck;der große, kahle Pfarrhof hingegen sah düster wieeine Kaserne aus.

Der Fremde schritt auf das Haus zu und zog an derGlocke. Sogleich erscholl drinnen heiseres Gebell, dannertönten Schritte, begütigende Zurufe wurden laut, dieTür ging auf und eine junge Bauerndirne, die einenknurrenden Hofhund am Halsband festhielt, zeigte sich aufder Schwelle.

»Grüasch Gott, Hochwürden,« sagte das Mädchen treuherzig.»Die Hand kann ich dem Herrn nicht geben, weilich das Hundsv

...

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