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Ullstein-Bücher
Eine Sammlung
zeitgenössischer Romane
Ullstein & Co / Berlin und Wien
Roman aus dem heutigen Weimar von
Max Geißler
Ullstein & Co / Berlin und Wien
Alle Rechte, insbesondere das der Uebersetzung, vorbehalten.
Amerikanisches Copyright 1916 by Ullstein & Co, Berlin.
Als wäre diese Geschichte nicht wahr – so wunderlichangetan mit allem Zierate der Romantik schreitet sieheraus aus dem grünen thüringischen Waldleben! MitZigeunern, die sich die Häuser aus bunten Lappen undFichtenreisern erbauen und durch den Bergwald fliegenwie die Distelfinken, denen der Herrgott am letztenSchöpfungstage die Reste seiner Farbeschalen aufgetupfthat. Und mit einem alten Mädchen, das in besinnlicherGüte und Einsamkeit dem Herzschlag des ThüringerWaldes lauschte – auf einmal fiel der Veronika Sinsheimerein Kind in die Hände, als sie schon daran dachte,wem sie das kleine Haus vermachen solle, wenn einesTages der Mann im weißen Mantel über das Gebirgeschritt, der die blauen Mohnkörner des ewigen Schlafesauswirft.
Das mit dem Kinde geschah ganz früh am Jakobustage– zu Sommeranfang, wenn die Drosseln das Silberihrer Lieder über den Wald werfen wie die jungenMütter des Christkindleins Haar um die Weihnachtstanne.
Die Häuslein sind um den Fuß der Vorberge gesäetwie die Weizenkörner; ein paar sind emporgeweht an die[6]Hänge, und der Bergwald legt seine grünen Arme darum.Zuhöchst steht das des Fräuleins Veronika Sinsheimer –von weitem anzuschauen als ein Wildrosenbusch im Mai;denn es hatte frühlingsgrüne Mauern und ein hellrotesZiegeldach, darin zwei blanke Augen, just wie das alteFräulein selber.
An den Fenstern waren weiße Vorhänge, feuerroteGeranien und Glockenstöcke; die standen auch währenddes Bergwinters in lachendem Blühen. Kein Wunder,denn das Fräulein in dem Frühlingshause wandelte ineinem freundlichen Spätlichte des Lebens, so warm undhell, daß die grämlichen Nebel der Altjüngferlichkeit sichdarin niederschlugen als ein Tau in den Sommermorgen.
Die Leute von Ibenheim gingen gern bei ihr ein undaus; denn sie sprach eine feine thüringfremde Sprache.Die hatte sie mit aus der norddeutschen Heimat gebrachtund schoß das »s« von dem feinen Bogen ihres Mundes wieeinen Pfeil. Die zu ihr kamen, banden sich daheim einesaubere Schürze vor und strichen sich die Schuhe vor derSchwelle des Hauses ab, oder sie ließen die Pantoffeldraußen stehen; denn um das Fräulein Veronika waralles blank.
Die lebte das Leben des späten Mädchens in Freudeund erzählte keinem Menschen, daß sie hundertmal Gelegenheitgehabt hätte, einen Mann zu nehmen, oder daßgar einer wegen seine