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Das grüne Gesicht

Ein Roman
von
Gustav Meyrink

Erstes bis dreißigstes Tausend


Leipzig
Kurt Wolff Verlag
1917

Copyright 1916 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung,
vorbehalten

Erstes Kapitel

Vexiersaloon
van
Chidher Grün

las der vornehm gekleidete Fremde, der auf demFußsteig der Jodenbreestraat unschlüssig stehengeblieben war, auf der schwarzen Ladentafeleines schräg gegenüberliegenden Gebäudes einekuriose Inschrift aus weißen, auffallend verschnörkeltenBuchstaben.

Neugierig geworden, oder um der Menge nichtlänger als Zielscheibe zu dienen, die ihn inholländisch bärenhafter Plumpheit umdrängteund ihre Glossen über seinen Gehrock, seinenblanken Zylinder und seine Handschuhe machte, — lauterDinge, die in diesem Stadtteil Amsterdamszu den Seltenheiten gehörten, — überquerteer zwischen hundebespannten Gemüsekarrenhindurch den Fahrdamm, gefolgt von einpaar Gassenbuben, die, die Hände tief in dieunförmlich weiten, blauen Leinwandhosen vergraben,mit krummem Rücken, eingezogenemBauch und gesenktem Hintern, dünne Gipspfeifendurch die roten Halstücherknoten gesteckt, sichin schlurrenden Holzschuhen faul und schweigsamhinter ihm dreinschoben.

Das Haus, in dem der Laden des ChidherGrün in einen gürtelartig rings herumlaufenden,rechts und links bis in zwei parallele Quergäßchensich hineinziehenden schmalen Glasvorbaumündete, schien, nach den trüben leblosenFensterscheiben zu schließen, ein Warenspeicherzu sein, dessen Rückseite vermutlich in eine sogenannteGracht abfiel — eine der zahlreichen,für den Handelsverkehr bestimmten Wasserstraßen.

In niedriger Würfelform aufgeführt, glich esdem oberen Teil eines dunkeln viereckigenTurmes, der im Lauf der Jahre allmählich biszum Rande seiner steinernen Halskrause — desjetzigen Glasvorbaues — in der weichen Torferdeversunken war.

Mitten im Schaufenster des Ladens lag aufeinem mit rotem Tuch bespannten Sockel ein dunkelgelberTotenkopf aus Papiermaché von unnatürlichemAussehen, — der Oberkiefer unterder Nasenöffnung viel zu lang und die Augenhöhlenund Schatten um die Schläfen schwarzgetuscht, — und hielt zwischen den Zähnen einPique-As.

„Het Delpsche Orakel, of de stemm uit hetGeesteryk“, stand darüber geschrieben.

Große Messingringe, ineinandergreifend wieKettenglieder, hingen von der Decke herabund trugen Girlanden grellbemalter Ansichtskarten,die warzenübersäte Gesichter vonSchwiegermüttern mit Vorhängeschlössern anden Lippen darstellten oder bösartige, mit Besendrohende

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