LEIPZIG
KURT WOLFF VERLAG
1916
Mit Titelzeichnung und zwei Bildbeigaben nach
Originallithographien von Ottomar Starke.
Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R. im
November 1915 als vierundzwanzigster Band
der Bücherei »Der jüngste Tag«
COPYRIGHT 1915 BY KURT WOLFF VERLAG • LEIPZIG
Aus einer Indischen Reise.
Pondichéry an der Koromandelküste ist einealte französische Provinzstadt, wie es sie in Frankreichselbst wohl kaum noch gibt. Sie liegt still undweiß mit großen Plätzen und winkligen Straßen, derenNamen die Schreibweise des vorvorigen Jahrhundertsbeibehalten haben. Ich war an den Chefarzt desHospitals empfohlen, und da wir nur zwei Tage bleibensollten, beeilte ich mich, ihn aufzusuchen.
Ich traf ihn vor einem Pavillon inmitten von Palmenund gezirkelten Rasenflächen, auf deren Grün die Tulpenwie kleine bunte Laternen brannten. Die Palmen standenso dicht zusammen, daß sie ihre harten Wedel in derHöhe vermischten, doch schienen sich diese in dem grellenLicht, das sie tausendfach durchlöcherte, zu verflüchtigen,man bekam Schwindel, wenn man lange hinaufsah, derganze Palmenwald fuhr mit einem in den Himmel. Umso zuversichtlicher kam dann der Blick auf den Rasen zurück,wo die Tulpen der Sonne tapfer standhielten, die siemit Haut und Haaren aufzufressen drohte. Sie glicheneigensinnigen Kindern, die sich nicht von der Stelle rühren.Über die roten Sandwege, zwischen den Bäumen, in denBüschen voll Glanz und Dunkel flitzten die Mungos, halbEichhörnchen, halb Wiesel. Die Europäer züchten sieund lassen sie auf die Schlangen los, die der Hindu nichtvon Menschenhand getötet haben will, weil sie, wie alleTiere, wandernden Seelen zum schicksalsvollen Aufenthaltdienen.
Wir wechselten die üblichen Begrüßungsworte undschritten durch den Palmenwald einem überhellen, zitterndenStück Horizont entgegen.
„Was ist das für ein magisches Licht, das sich dorthinter den Stämmen bewegt?“ fragte ich und deutete aufdie weiße Flamme.
Mein Begleiter blickte auf: „Ja, nicht wahr? ein magischesLicht! . . . Und es ist doch nur eine Hauswand,die Wand eines Pavillons. Allerdings eines Pavillons inSüdindien. Unsere schöne, schöne Sonne! Fast alle Europäerhassen sie . . . Ich bleibe einzig und allein ihretwegenhier . . . Vor zwei Jahren war ich zum letztenmalin Europa . . . Nie wieder! . . . Schon im MittelländischenMeer fühlte ich, wie der blaue Himmel über uns langsamhinwelkte, das Licht hing stumpf und schwer über einemkraftlos glitzernden Meer, das Fenster der Welt schienbeschlagen. — Vierzehn Tage später